Moosbierbaumer Dorfblatt'l. Unabhängige Moosbierbaumer Dorfzeitung
Jahrgang 5 • Ausgabe 14 • August 2003
 

Adolf Hitlers Waffenkammer oder
Trasdorf - die Wiege der Raumfahrt?

Verfasst von Vizeleutnant Josef GOLDBERGER, Schriftführer der „Moosbierbaumer Heimatkundlichen Runde“ nach Schriften des
Herrn Siegfried SELLE, vormals stellv. Dienststellenleiter des A4/V2 Heimatlagers „ISABELLA“, Oberfeuerwerker und Sprengmeister,
später Vizeleutnant des technischen Dienstes beim öBH/HMatA Wien,
verstorben im Jahre 1997.

Folge 2

So fing es an

Im Jahre 1943 gelang erstmals nach unzähligen Fehlversuchen der Start einer V2. Schon damals hatte Wernher von Braun die Grenzen der Feststoffrakete (V1) erkannt und konzentrierte die Forschung auf die flüssigkeitsbetriebenen V2-Raketen.

Die erste V2 flog 297 km weit, von Zielgenauigkeit konnte aber noch keine Rede sein. Im Einsatz erreichte sie eine Geschwindigkeit von 5.500 km/h, eine Flughöhe von 90 km und eine Reichweite von 370 km bei schon viel besserer Trefferlage.

Am 7. Juli 1943 erteilte Hitler persönlich den Auftrag zur Produktion der V2. Die militärische Lage hatte sich schon derart verschlechtert, daß man mit Hilfe der V2 noch eine Wende herbeiführen wollte. Die Erzeugung lief auf Hochtouren (30.000 bis 35.000 Spezialisten wurden in Peenemünde zusammengezogen) als die Royal Air Force die Anlage mit einem gigantischen Bombenteppich schwerst beschädigte. Laufende Störangriffe waren an der Tagesordnung. Man entschloß sich, die V2-Erzeugung in die Gips- und Kalibergwerke im Harz zu verlegen. Schon vorher war die Errichtung von Lagerstätten befohlen, die durch ihre Streuung ein Bombardement erschweren sollten. Eines dieser Lager war jenes in Trasdorf.

Die Vorbereitungen

Im Frühjahr 1943 wurde mit der Errichtung des Lagers begonnen und es wurde in Rekordbauzeit von nur 6 Monaten fertiggestellt.

Während dieser Zeit wurde Herr Selle in Peenemünde an der V2 ausgebildet. In diesem Zeitraum erlebte er zahlreiche Luftangriffe der RAF und berichtete von großflächigen Zerstörungen und hunderten Todesopfern. Vor dieser Ausbildung wurde Hr. Selle von General Dornberger und von Wernher v. Braun persönlich mittels Handschlags vereidigt. Dadurch erhielt er in seinem Soldbuch die Eintragung „Geheimnisträger 1. Klasse“, was einen Einsatz an vorderster Front ausschloß.

Das Lager

Isabella bestand aus 45 Lagerbaracken, die alle mittels Feldbahngeleisen erreichbar waren. Insgesamt wurden 12 km dieser Geleise verlegt.
Die Feldbahn führte wieder zu einer Umladestelle, bei der Raketen von der Eisenbahn auf die Feldbahn und umgekehrt verladen wurden.

An Nebengebäuden gab es noch Munitionshäuser, Lokschuppen, Wachhäuser und Wohngebäude. Selbst ein Großteil der Munitionshäuser hatte einen Feldbahnanschluß.


Luftbildaufnahme des Lagers Isabella vom 2.3.1945 nach dem Fliegerangriff auf das Werk Moosbierbaum, von dem die dichten schwarzen Rauchschwaden in der linken Bildhälfte stammen. Zu diesem Zeitpunkt war das Lager schon längst geräumt. Die Lagerhallen für die V2 sind fischgrätförmig im Zentrum des Bildes zu sehen.
Quelle: Air Photo Department of Geography - University of Keele

Bei der Verladestelle standen zwei Zehntonnen- Pionierkräne für die nötigen Umladearbeiten zur Verfügung, für sonstige Ladearbeiten ein Fünftonnen Straßenkran. Zur Ausleuchtung der Arbeitsstellen verwendete man sechs Azetylen-Scheinwerfer, da die Verladung nur nachts stattfand.

An Personal befand sich im Lager:
Ein Verwalter mit einem Schreiber, zwei Lagergruppen, eine Arbeitsgruppe (Lok- und Kranführer), ein Transportbegleitzug (32 Mann), ein Wachzug (3 Gruppen, insgesamt 23 Mann), in der Küche ein Koch mit drei weiblichen Gehilfen und fünf russischen Gefangenen (vereinzelt wurden verlässliche Russen auch für Verlade-, Instandsetzungs- und Bergearbeiten herangezogen).

Mit Einbruch der Dunkelheit wurde über das Anschlußgleis der Bahn eine Zugsgarnitur vom Bahnhof Sitzenberg-Reidling so ins Lager verschoben, daß die letzten drei Waggons bereits unter den beiden 10 t-Kränen standen. Jeweils zwei Raketen lagen auf einer Kombination von 3 Waggons (zwei größere und ein kleinerer in der Mitte). Die Raketen wurden ohne Treibstoff und ohne Sprengkopf transportiert und wogen je 4.500 kg. Die Sprengköpfe wurden auf anderen Waggons transportiert und waren samt der Transportkiste je knapp zwei Tonnen schwer. Nachdem die Schutzplanen von den Waggons entfernt waren, wurden die Aggregate auf die Feldbahn verladen. Anschließend wurden die Raketen mit den Feld-bahnwagen zu den Lagerhallen gefahren und auf den dafür vorgesehenen Betonsockeln abgesetzt.

Dieser Vorgang ist jedoch nicht genauer beschrieben, denkbar wären aber Gerüste mit Flaschenzügen. Über die Anzahl der A4-Waggons finden sich keine Angaben, aber es mußte in den Spitzenzeiten die ganze Nacht durchgearbeitet werden, um das Arbeitspensum zu schaffen.

Warnschuß? Nein danke!

Um die hohe Geheimhaltung des Projektes zu dokumentieren, schildert Herr Selle eine Begebenheit:
A4-Zuggarnituren wurden durch eine Wache (ein Offizier, ein Unteroffizier und 8 Soldaten) gesichert. Als in einem Bahnhof ein Eisenbahner die Kupplungen überprüfte, reagierte er zu spät auf den Warnruf der Wache und wurde, bevor er die Parole angeben konnte, erschossen. Die Angst vor Saboteuren war sichtlich groß.

Die Bomber kommen

Nachdem schon im Juni 1944 alliierte Bomber begannen, das Tullnerfeld zu bombardieren, hatten die Angreifer natürlich auch Luftbilder der Gegend zur Verfügung (genau ab 13. April 1944). Das Gefangenenlager und die Munitionssichtungsstelle waren zwar nicht die konkreten Angriffsziele, Fehlabwürfe wegen der Vernebelungen und aufgrund der Streuung richteten aber auch schwere Schäden an.

Ein Treffer im Lager Isabella hätte jedenfalls enormen Schaden an der Zivilbevölkerung und im Gefangenenlager angerichtet. Ob die genaue Bestimmung von Isabella den Angreifern überhaupt bekannt war, ist mehr als fraglich. Durch den übereilten Bau des Lagers hatte man auf jegliche Tarnung gegen Luftsicht schlicht vergessen. Es ist aber auch möglich, daß man sich bei der Befehlserteilung zur Errichtung desselben der Luftüberlegenheit noch so sicher war, daß man auf Tarnung einfach verzichtete. Mit Beginn der Angriffe stellte sich dies aber als folgenschwerer Fehler heraus. Durch die markante Anlage im Fischgrätmuster war das Lager selbst aus großer Höhe einwandfrei zu identifizieren. Das Luftbild auf Seite 11, entnommen aus den „Mitteilungen VI des Heimatkundlichen Arbeitskreises für die Stadt und den Bezirk Tulln“ von Anton Handelsberger, zeigt dies sehr deutlich.

Der Räumungsbefehl

Anfang Dezember 1944 machte die Lagermannschaft eindeutig die Beobachtung, daß Nachtaufklärer die Ladearbeiten fotografiert hatten. Nach sofortiger Meldung an den Sonderstab A4 in Berlin erhielt das Lagerkommando prompt den Räumungsbefehl.

Mit Beginn des Jahres 1945 rollten somit Tag und Nacht pausenlos V2-Züge aus dem Lager. Am Morgen des 5. Februar 1945 verließ der letzte mit V2 beladene Zug das Lager.

Es ist kaum vorstellbar, welche enormen Leistungen die gesamte Verlademannschaft im Kampf gegen die Zeit, die Kälte, Schneestürme und gegen Erschöpfung erbrachte, zumal dies alles nachts zu leisten war und bei Tag Schäden zu reparieren waren.

Zum damaligen Zeitpunkt waren dort 500.000 kg Sprengstoff eingelagert, der für die V2 eigens zusammengestellt wurde, um eine höhere Brisanz zu erreichen. Diese Menge entspricht rund 500 Raketen oder 2.750 t Gesamtton-nage, was 110 Ladungen heutiger LKW-Züge entsprechen würde. Ein Volltreffer in diese Sprengstoffmenge hätte eine Kettenreaktion zur Folge gehabt, die in ihrer Wirkung mit der Hiroshima-Bombe vergleichbar gewesen wäre. Die Zerstörungen im Tullnerfeld wären katastrophal gewesen.

Noch während der Räumung des Lagers wurden von den Alliierten laufend Angriffe geflogen, um die Produktion in der Donau-Chemie und im Hydrierwerk Moosbierbaum empfindlich zu stören und um die Kampfkraft der umliegenden Flak-Batterien zu brechen oder wenigstens zu schwächen. Die Flak mußte zwar Verluste hinnehmen, fügte ihrerseits aber den Angreifern erhebliche Verluste zu.

Wird fortgesetzt.