Adolf Hitlers Waffenkammer
oder
Trasdorf - die Wiege der Raumfahrt?
Verfasst
von Vizeleutnant Josef GOLDBERGER, Schriftführer
der „Moosbierbaumer Heimatkundlichen Runde“ nach Schriften
des
Herrn Siegfried SELLE, vormals stellv. Dienststellenleiter des A4/V2
Heimatlagers „ISABELLA“, Oberfeuerwerker und Sprengmeister,
später Vizeleutnant des technischen Dienstes beim öBH/HMatA
Wien,
verstorben im Jahre 1997.
Folge 2
So fing es an
Im Jahre 1943 gelang erstmals nach unzähligen Fehlversuchen der
Start einer V2. Schon damals hatte Wernher von Braun die Grenzen der
Feststoffrakete (V1) erkannt und konzentrierte die Forschung auf die
flüssigkeitsbetriebenen V2-Raketen.
Die erste V2 flog 297 km weit, von Zielgenauigkeit konnte aber noch
keine Rede sein. Im Einsatz erreichte sie eine Geschwindigkeit von
5.500 km/h,
eine Flughöhe von 90 km und eine Reichweite von 370 km bei schon
viel besserer Trefferlage.
Am 7. Juli 1943 erteilte Hitler persönlich den Auftrag zur Produktion
der V2. Die militärische Lage hatte sich schon derart verschlechtert,
daß man mit Hilfe der V2 noch eine Wende herbeiführen wollte.
Die Erzeugung lief auf Hochtouren (30.000 bis 35.000 Spezialisten wurden
in Peenemünde zusammengezogen) als die Royal Air Force die Anlage
mit einem gigantischen Bombenteppich schwerst beschädigte. Laufende
Störangriffe waren an der Tagesordnung. Man entschloß sich,
die V2-Erzeugung in die Gips- und Kalibergwerke im Harz zu verlegen.
Schon vorher war die Errichtung von Lagerstätten befohlen, die durch
ihre Streuung ein Bombardement erschweren sollten. Eines dieser Lager
war jenes in
Trasdorf. Die Vorbereitungen
Im Frühjahr 1943 wurde mit der Errichtung des Lagers begonnen und
es wurde in Rekordbauzeit von nur 6 Monaten fertiggestellt.
Während dieser Zeit wurde Herr Selle in Peenemünde an der
V2 ausgebildet. In diesem Zeitraum erlebte er zahlreiche Luftangriffe
der RAF und berichtete von großflächigen Zerstörungen
und hunderten Todesopfern. Vor dieser Ausbildung wurde Hr. Selle von
General Dornberger und von Wernher v. Braun persönlich mittels
Handschlags vereidigt. Dadurch erhielt er in seinem Soldbuch die Eintragung „Geheimnisträger
1. Klasse“, was einen Einsatz an vorderster Front ausschloß. Das Lager
Isabella
bestand aus 45 Lagerbaracken, die alle mittels Feldbahngeleisen
erreichbar waren. Insgesamt wurden 12 km dieser Geleise verlegt.
Die Feldbahn führte wieder zu einer Umladestelle, bei der Raketen
von der Eisenbahn auf die Feldbahn und umgekehrt verladen wurden.
An
Nebengebäuden gab es noch Munitionshäuser, Lokschuppen,
Wachhäuser und Wohngebäude. Selbst ein Großteil der
Munitionshäuser hatte einen Feldbahnanschluß. 
Luftbildaufnahme des Lagers Isabella vom 2.3.1945
nach dem Fliegerangriff auf das Werk Moosbierbaum, von dem die
dichten schwarzen
Rauchschwaden in der linken Bildhälfte stammen. Zu diesem Zeitpunkt
war das Lager schon längst geräumt. Die Lagerhallen für
die V2 sind fischgrätförmig im Zentrum des Bildes zu sehen.
Quelle: Air Photo Department of Geography - University of Keele
Bei
der Verladestelle standen zwei Zehntonnen- Pionierkräne
für die nötigen Umladearbeiten zur Verfügung, für
sonstige Ladearbeiten ein Fünftonnen Straßenkran. Zur Ausleuchtung
der Arbeitsstellen verwendete man sechs Azetylen-Scheinwerfer, da die
Verladung nur nachts stattfand.
An
Personal befand sich im Lager:
Ein Verwalter mit einem Schreiber, zwei Lagergruppen, eine Arbeitsgruppe
(Lok- und Kranführer), ein Transportbegleitzug (32 Mann), ein Wachzug
(3 Gruppen, insgesamt 23 Mann), in der Küche ein Koch mit drei weiblichen
Gehilfen und fünf russischen Gefangenen (vereinzelt wurden verlässliche
Russen auch für Verlade-, Instandsetzungs- und Bergearbeiten herangezogen).
Mit Einbruch der Dunkelheit wurde über das Anschlußgleis der
Bahn eine Zugsgarnitur vom Bahnhof Sitzenberg-Reidling so ins Lager
verschoben, daß die letzten drei Waggons bereits unter den beiden
10 t-Kränen standen. Jeweils zwei Raketen lagen auf einer Kombination
von 3 Waggons (zwei größere und ein kleinerer in der Mitte).
Die Raketen wurden ohne Treibstoff und ohne Sprengkopf transportiert
und wogen je 4.500 kg. Die Sprengköpfe wurden auf anderen Waggons
transportiert und waren samt der Transportkiste je knapp zwei Tonnen
schwer. Nachdem die Schutzplanen von den Waggons entfernt waren, wurden
die Aggregate auf die Feldbahn verladen. Anschließend wurden die
Raketen mit den Feld-bahnwagen zu den Lagerhallen gefahren und auf den
dafür vorgesehenen Betonsockeln abgesetzt.
Dieser
Vorgang ist jedoch nicht genauer beschrieben, denkbar wären aber
Gerüste mit Flaschenzügen. Über die Anzahl der A4-Waggons finden
sich keine Angaben, aber es mußte in den Spitzenzeiten die ganze Nacht
durchgearbeitet werden, um das Arbeitspensum zu schaffen. Warnschuß?
Nein danke!
Um die hohe
Geheimhaltung des Projektes zu dokumentieren, schildert Herr Selle
eine Begebenheit:
A4-Zuggarnituren wurden durch eine Wache (ein Offizier, ein Unteroffizier
und 8 Soldaten) gesichert. Als in einem Bahnhof ein Eisenbahner die
Kupplungen überprüfte,
reagierte er zu spät auf den Warnruf der Wache und wurde, bevor
er die Parole angeben konnte, erschossen. Die Angst vor Saboteuren war
sichtlich groß. Die Bomber kommen
Nachdem
schon im Juni 1944 alliierte Bomber begannen, das Tullnerfeld zu
bombardieren, hatten die Angreifer natürlich auch Luftbilder
der Gegend zur Verfügung (genau ab 13. April 1944). Das Gefangenenlager
und die Munitionssichtungsstelle waren zwar nicht die konkreten Angriffsziele,
Fehlabwürfe wegen der Vernebelungen und aufgrund der Streuung
richteten aber auch schwere Schäden an.
Ein
Treffer im Lager Isabella hätte jedenfalls enormen Schaden an
der Zivilbevölkerung und im Gefangenenlager angerichtet. Ob die
genaue Bestimmung von Isabella den Angreifern überhaupt bekannt
war, ist mehr als fraglich. Durch den übereilten Bau des Lagers
hatte man auf jegliche Tarnung gegen Luftsicht schlicht vergessen. Es
ist aber auch möglich, daß man sich bei der Befehlserteilung
zur Errichtung desselben der Luftüberlegenheit noch so sicher war,
daß man auf Tarnung einfach verzichtete. Mit Beginn der Angriffe
stellte sich dies aber als folgenschwerer Fehler heraus. Durch die markante
Anlage im Fischgrätmuster war das Lager selbst aus großer
Höhe einwandfrei zu identifizieren. Das Luftbild auf Seite 11, entnommen
aus den „Mitteilungen VI des Heimatkundlichen Arbeitskreises für
die Stadt und den Bezirk Tulln“ von Anton Handelsberger, zeigt
dies sehr deutlich. 
Der Räumungsbefehl
Anfang Dezember
1944 machte die Lagermannschaft eindeutig die Beobachtung, daß Nachtaufklärer
die Ladearbeiten fotografiert hatten. Nach sofortiger Meldung an den
Sonderstab A4 in Berlin erhielt das Lagerkommando
prompt den Räumungsbefehl.
Mit Beginn
des Jahres 1945 rollten somit Tag und Nacht pausenlos V2-Züge
aus dem Lager. Am Morgen des 5. Februar 1945 verließ der letzte
mit V2 beladene Zug das Lager.
Es ist kaum
vorstellbar, welche enormen Leistungen die gesamte Verlademannschaft
im Kampf gegen die Zeit, die Kälte, Schneestürme und gegen
Erschöpfung erbrachte, zumal dies alles nachts zu leisten war und
bei Tag Schäden zu reparieren waren.
Zum damaligen
Zeitpunkt waren dort 500.000 kg Sprengstoff eingelagert, der für die V2 eigens zusammengestellt wurde, um eine höhere
Brisanz zu erreichen. Diese Menge entspricht rund 500 Raketen oder 2.750
t Gesamtton-nage, was 110 Ladungen heutiger LKW-Züge entsprechen
würde. Ein Volltreffer in diese Sprengstoffmenge hätte eine
Kettenreaktion zur Folge gehabt, die in ihrer Wirkung mit der Hiroshima-Bombe
vergleichbar gewesen wäre. Die Zerstörungen im Tullnerfeld
wären katastrophal gewesen.
Noch während der Räumung des Lagers wurden von den Alliierten
laufend Angriffe geflogen, um die Produktion in der Donau-Chemie und
im Hydrierwerk Moosbierbaum empfindlich zu stören und um die Kampfkraft
der umliegenden Flak-Batterien zu brechen oder wenigstens zu schwächen.
Die Flak mußte zwar Verluste hinnehmen, fügte ihrerseits
aber den Angreifern erhebliche Verluste zu.
Wird fortgesetzt. |