Moosbierbaumer Dorfblatt'l. Unabhängige Moosbierbaumer Dorfzeitung
Jahrgang 8 • Ausgabe 24 • Dezember 2006

 

Wortbilder

Im Vorübergehen fällt der Blick der Frau auf die Tafel der Baufirma, die an der abgeblätterten Mauer des alten Hauses befestigt ist. Eine leise Wehmut befällt sie, als sie an den Besitzer dieses verwahrlosten Anwesens denkt, der hier noch bis vor einigen Jahren eine Greißlerei betrieben hatte.

Ein heftiger Spätsommerwind pfeift um das Haus und bewegt selbst die mächtigen Bäume des Gartens, bis sie sich ächzend biegen. Es ist, als wolle die Natur ihre Macht zur Schau stellen und die alleinige Herrschaft über dieses Areal bekunden. Nur die alten Rollläden scheinen sich dagegen aufzulehnen, so heftig klappert beim nächsten Windstoß das Blech der grauen Fensterabdeckungen.

Dieses fast erbarmungslose Sichtbarwerden der Vergänglichkeit erzeugt in der Frau eine eigenartige Stimmung und ihre Gedanken beschäftigen sich weiter mit dem alten Kaufmann, der jahrzehntelang zum Erscheinungsbild des Dorfes gehört hatte und nie verheiratet gewesen war. Nur seine Eltern hatten bis zu ihrem Tod bei ihm gelebt. Einige Male - als junger Mann - solle er zwar verliebt gewesen sein, doch die Schwiegertochter, die sich Vater und Mutter gewünscht hätten, wäre eben nie dabei gewesen, sagt man. Später, etwas in die Jahre gekommen und an das Alleinsein gewöhnt, war er mit der Zeit etwas eigenbrötlerisch geworden. Vielleicht zeigte sich auf diese Weise auch schon seine beginnende Krankheit, denn es schien, als begänne er sich eine eigene Welt aufzubauen, eine Welt, in der er an manchen Tagen Traum und Wirklichkeit nicht mehr recht unterscheiden wollte.

Die Schulkinder hänselten ihn dann und die Erwachsenen belächelten ihn, wenn er im grauen Arbeitskittel - inmitten seiner Regale und Obstkisten und umringt von seinen geliebten Katzen - von seinen Plänen zu reden begann. Da schwärmte er von einem zukünftigen Pensionistenleben mit schickem Wagen und einem Haus mit neu gestalteten Wohnräumen und einer schönen Außenfassade.

Heute zeugt nur noch das vergilbte Firmenschild der Baufirma von seinen Träumen, das alte Gebäude renovieren zu lassen, aus dessen Mauerritzen nun schon hohes Unkraut wuchert.

Nicht, dass es dem alten Mann an Geld gemangelt hätte, nein, das war ausreichend vorhanden, doch die Zeit, die in seinem kleinen Geschäft scheinbar stehen geblieben war, zerrann dem alten Mann im wahren Leben wie Sand zwischen den Fingern.

Wie es ihm im Altersheim wohl ergangen war, sinniert die Frau, während sie ihren Weg fortsetzt. Die Jahre verfliegen so schnell und die Meinung, noch unbegrenzt Zeit zur Verfügung zu haben, erweist sich allzu früh als trügerisch ...

So erinnert sie sich auch noch gut an einen lieben Freund ihrer Familie. Dieser Mann war künstlerisch und handwerklich ungemein begabt und verbrachte in späteren Jahren infolge einer körperlichen Behinderung viele Stunden seines Lebens an seinem Schreibtisch, auf dem eine kurios anmutende Chaosordnung herrschte. Er schrieb schöne Gedichte und Liedtexte und hatte in den Bereichen Sport und Kultur einiges zuwege gebracht. Dennoch schleppte er jahrzehntelang eine Idee mit sich herum, die er - aus welchen Gründen auch immer - nie verwirklicht hatte. So wollte er von Jugend an - ja selbst noch, als er schon längst Großvater geworden war - mit Handpuppen, die er aus Papiermaschee zu formen verstand, in Schulen und Kindergärten selbstverfasste Stücke zur Aufführung bringen. Doch am Ende blieben nur einige halbfertige Puppenköpfe übrig, weil es später aufgrund seines Alters und seiner Behinderung mehr als augenscheinlich war, dass er sich zu lange Zeit gelassen hatte, um dieses Vorhaben in die Tat umzusetzen.

Nun windet sich schon seit einigen Jahren eine wildromantische Hecke um seinen Grabstein.

In Gedanken versunken blickt die Frau einigen Blättern nach, die der Wind über die Straße treibt. Der Sommer geht dem Ende zu, bald kommt der Herbst - und danach wird der Winter Einzug halten!

Ja, der Winter! So gerne würde sie einmal in ihrem Leben in einem Pferdeschlitten sitzen und mit Glöckchengebimmel durch die tief verschneite Landschaft fahren - so wie sie es damals als junges Mädchen in dem Film „Doktor Schiwago“ gesehen hat.

Irgendwann - das weiß sie genau - wird sie sich diesen Traum erfüllen! Wie zur Bestätigung atmet sie lange durch, dann stellt sie den Einkaufskorb ab und schließt ihr Haustor auf ...