Moosbierbaumer Dorfblatt'l. Unabhängige Moosbierbaumer Dorfzeitung
Jahrgang 6 • Ausgabe 16 • April 2004

 

Adolf Hitlers Waffenkammer oder
Trasdorf - die Wiege der Raumfahrt?

Verfasst von Vizeleutnant Josef GOLDBERGER, Obmann-Stellvertreter
der „Moosbierbaumer Heimatkundlichen Runde“ nach Schriften des
Herrn Siegfried SELLE, vormals stellv. Dienststellenleiter des A4/V2 Heimatlagers „ISABELLA“, Oberfeuerwerker und Sprengmeister,
später Vizeleutnant des technischen Dienstes beim öBH/HMatA Wien,
verstorben im Jahre 1997.

Folge 4

Vor dem Rückzug
Mit Beginn der letzten Märzwoche 1945 wurden alle Vorbereitungen getroffen, das Lager oder was davon noch übrig war, zu sprengen. Es waren, laut Herrn Selle, nur noch dreißig, zum Teil verwundete Männer übrig. Es galt folgendes zu vernichten:
Sämtliche Gleis- und Weichenanlagen, Vierzig Waggons, 20 Munitionsbunker (teilweise noch mit russischer PAK-Munition belegt), 12 Lagerhäuser (darin ca. 10.000 Paar Bergschuhe, 10.000 Paar Schi, 1000 Finnen-Akja, 10 Waggonladungen Schuhleder, eine große Menge Papierwaren und vieles mehr)

Die Sprengung erfolgte am 7. April 1945 um sechs Uhr abends. Zwei Stunden vorher konnten sich, laut Hrn. Selle, die Trasdorfer noch mit Brauchbarem eindecken. Zeitzeuge Josef Fitz, Jahrgang 1930, hingegen erzählt, dass die Leute erst nach der Sprengung nach Verwertbarem suchen konnten und auch einiges fanden. Der Großteil der vielfältigen Bekleidungsgegenstände war jedoch unbrauchbar oder wurde ein Raub der Flammen.

Eine weitere Ungereimtheit:
Herr Handelsberger berichtet, dass die Sprengung der Lagerreste durch die Waffen-SS erfolgt sei. Dem widersprechen sowohl Hr. Selle als auch der Zeitzeuge Josef Fitz: „Die Sprengungen sind durch die letzten Lagermannschaften selbst durchgeführt worden.“

Man fand auch eine Glocke. Offensichtlich wurde diese aus dem Osten zum Einschmelzen nach Hause verfrachtet. Es kam aber nicht dazu, sie wurde hier wahrscheinlich als Lagerglocke verwendet. Aus dem Osten? Ja, denn sie trägt zyrillische Lettern und das Bild des heiligen Nikolaus. Wer die Glocke aufbewahrt hat, wissen wir nicht. Sie wurde vorerst in der Pfarrkirche von Heiligeneich montiert, wo sie am 2. Dezember 1945 erstmals läutete.

Am 27. Juni 1948 wurde genau diese Glocke in der wiederhergestellten Dorfkapelle in Tautendorf eingeweiht. Bis heute dient sie den Tautendorfern als Gebetsglocke. (Aus dem Buch „Zeugen des Glaubens aus Holz und Stein“ von Alfred Fröhlich und Rudolf Reither).

Im Zuge der Recherchen konnten mir einige Zeitzeugen ein paar Erinnerungen erzählen:
Bei dem Großangriff am 7. Februar 1945 flüchtete die Familie Primer aus Trasdorf in ihren Erdkeller in der Erdpreß. Frau Anna Otzlberger, geb. Primer (Jg. 1931), Kremserstr. 45, erzählt:
„ Wir waren 11 oder 12 Leute, Vater Leopold und Mutter Anna, Schwester Leopoldine (heute Frau Kronawetter), Josef Primer (Bruder des Leopold), Frau Maria Sappert, Frau Hösl, ein polnischer Fremdarbeiter und noch ein paar Leute, aber die Erinnerung fehlt. An diesem Tag traf eine Bombe genau unseren Keller. Wir waren verschüttet und konnten erst nach einiger Zeit durch eigenes Graben und durch Hilfe von Außen befreit werden. Es war schrecklich. Frau Hösl und der Pole waren tot. Mein Vater und Onkel Josef waren schwer verletzt. Die beiden wurden ins Haus gebracht und versorgt. Es dauerte Stunden, bis endlich ein Rettungswagen die beiden nach St. Pölten ins Spital bringen konnte.“

Die Greißlerei Reisner wurde durch eine Bombe total zerstört.Opfer gab es dabei keine, die Familie war in einem Keller.

Am Anfang der heutigen Fabriksstraße schlug eine Bombe ein und richtete schwere Schäden an: beim Ferdinand Doppler, heute Fam. Altmann, wurden Haus und Einfahrt so getroffen, dass eine Menge Schutt vermischt mit Getreide auch im Hof der Nachbarn, Fam. Lust, zu liegen kam; der Familie Hasenzagl (heute Ferdinand Mandl) wurde der Stadel und ein Schuppen schwer beschädigt, die Binderwerkstätte Hinterleitner und deren Wohnhaus ebenso. Das Haus der Familie Munsch wurde von einer anderen Bombe total zerstört.

Herr Josef Muck kam im Steingraben durch eine Bombe um.
In der Bahnstraße, wo heute das Feuerwehrhaus steht, gab es ein Gefängnis. Hier befanden sich etwa 20 Gefangene, hauptsächlich Ausländer. Diese wurden den Bauern als Ersatzarbeiter zur Verfügung gestellt, um die an die Front Eingezogenen wenigstens teilweise zu ersetzen. Morgens ging die Wache mit den Männern durch das Dorf und verteilte sie an jene Häuser, die gerade Kräfte brauchten. Diese Arbeiter waren meist fleißig und zuverlässig, außerdem war bei den Bauern die Kost meist besser und reichlicher. Am Abend sammelte die Wache die Männer wieder ein und nahm sie in Gewahrsam.

In die Lehmwände des Scheuerweges wurden annähernd 30 Höhlen gegraben, in denen die Gefangenen aus dem Lager, welches sich auf der rechten Seite von der Dürnrohrerstraße befand, bei Bombenangriffen sicher untergebracht wurden.

Die Erdhöhlen im Steingraben standen nur dem Lagerpersonal als Luftschutzunterstand zur Verfügung. Sie wurden auch als Lagerräume genutzt.

Die Munitionssichtungsstelle Sitzenberg-Reidling
Obwohl die beiden Einrichtungen in der Katastralgemeinde Trasdorf lagen, ist die Munitionssichtungsstelle nach jenem Bahnhof benannt, von dem das Zubringergeleise geführt wurde, und das war eben Sitzenberg-Reidling. Dieses wurde vom östlichen Bahnhofskopf in Sitzenberg Richtung Trasdorf verlegt und lag nördlich des Hauptgeleises auf einem tieferen Niveau.

Der Betrieb von solchen Sichtungsstellen war deshalb notwendig, da man verschossene Kartuschenhülsen dringend als Rohstoff brauchte und Munitionskisten in den Fabriken nicht immer neu hergestellt werden konnten. Außerdem mussten beschädigte Geräte zur Instandsetzung gebracht oder, so sie unbrauchbar waren, als Schrott wiederverwertet werden.

Zu einem gewissen Teil geschah dies auch mit erbeuteten Waffen, Geräten und Munition. Ein ganz gutes Beispiel dafür war die russische MP-41, die sich im Kampf ihrem deutschen Pendant, der MP-40 gegenüber als wesentlich verlässlicher erwies. Aber auch Beute-PAK (Panzerabwehrkanonen) wurden von den Deutschen erfolgreich eingesetzt.

Es wurden also erbeutete Waffen und Munition, wenn sie von der Truppe nicht gleich eingesetzt wurden, mit der Eisenbahn ins Hinterland gebracht, um in Mun-Sichtungsstellen sortiert, verpackt, zum Teil gelagert und später an die Bedarfsträger wieder ausgeliefert zu werden.

Und angeliefert wurde eine ganze Menge. Täglich trafen bis zu 60 Eisenbahnwaggon mit Material ein und wurden natürlich verarbeitet. Die etwa dreißig Waggon Altmetall (Schrott) täglich wurden schnellstens in Schmelzöfen abgefahren.

Unbrauchbare Munition wurde täglich gesprengt.

Für all diese Arbeiten standen Gefangene aus dem Lager gegenüber der Straße zur Verfügung. Der Betrieb gestaltete sich äußerst schwierig, da die Angehörigen des deutschen Strafbataillons aus allen Nationen Europas stammten und auch die Russen selbst verschiedene Dialekte sprachen.

Täglich mussten zwei Dolmetscher in fast einem Dutzend Sprachen alle Anweisungen und Verbote laut bekannt geben. Zweimal täglich unterzog man alle Gefangenen einer Leibesvisitation um Diebstähle zu verhinden.


57 Jahre nach der Auflösung des Lagers, am 2. 5. 2002, zeigt diese Luftaufnahme schon ein völlig verändertes Bild. Das Ackerland wurde durch die Kommassierung 1962 total verändert. Im Bild rechts oben ist der neue Trasdorfer Ortsteil Föhrensee zu erkennen. Links daneben, dort wo einst das Gefangenenlager war, ist jetzt die Fa. Rauch angesiedelt. Schräg rechts darunter der Badeteich und das Gemeindesammelzentrum befinden sich schon direkt im einstigen Lagerbereich. Dort, wo auf der Aufnahme von 1955 noch die fischgrätförmigen Fundamente des V2-Lagers zu sehen waren, befindet sich heute das Umspannwerk und zwischen diesem und dem Badesee ist das Baurestmassenlager zu sehen. In der linken oberen Ecke ist der neue Golfplatz zu erkennen. Der Ort links in der Bildmitte ist Dürnrohr. Nur mehr die hellen Flecken zeugen von den Bombentrichtern.

 

Wird fortgesetzt.