Moosbierbaumer Dorfblatt'l. Unabhängige Moosbierbaumer Dorfzeitung
Jahrgang 7 • Ausgabe 21 • Dezember 2005

 

Die Akte Schneider

von Anton Müllner

Folge 1

In den vorangegangenen Folgen unserer Serie „Krieg und Frieden“ berichteten wir von den letzten Jahren des Zweiten Weltkrieges, vom Trasdorfer Lager und den tragischen Ereignissen auf dem Schusterberg. Nun wenden wir uns jenen Ereignissen in der unmittelbaren Nachkriegszeit zu, die uns zeigen, wie es einem Einzelnen möglich war, sich zum Dorftyrann aufzuschwingen, nur weil er die Sprache der Russen ein wenig beherrschte. Die Anklageschrift, die der Staatsanwalt erst zehn Jahre später, nach dem Abzug der Besatzer, verfassen durfte werden wir unkommentiert und in voller Länge in den nächsten Folgen unserer Zeitschrift veröffentlichen. Wir danken Frau Anna Eder aus Moosbierbaum für die Überlassung des Originals.


G e s c h w o r e n e n g e r i c h t
am Sitze des Kreisgerichtes St. Pölten.

Die Staatsanwaltschaft St. Pölten erhebt gegen

Ferdinand S c h n e i d e r, geboren am 22. 5. 1885 in Troppau,
CSR., staatenlos, rk., gesch.,
Eierhändler, in Moosbierbaum Nr. 76
wohnhaft, derzeit in U-Haft beim
Kreisgericht St. Pölten.
die

A n k l a g e :

Ferdinand Schneider habe

I.) am 21. April 1945 in Heiligeneich im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit zwei unbekannten Besatzungssoldaten gegen Eduard Krammer in der Absicht, ihn zu töten, durch Schläge mit einem Gewehr auf den Kopf und durch Fusstritte auf eine solche Art gehandelt, dass daraus dessen Tod erfolgte;

II.) in Moosbierbaum in Gesellschaft von Diebsgenossen um seines Vorteiles willen fremde bewegliche Sachen in einem 5.000,-- S übersteigenden Wert aus dem Besitze nachgenannter Personen, ohne deren Einwilligung, während eines den Bestohlenen Insonderheit zugestossenen Bedrängnisses, entzogen, und zwar:
1.) im April 1945 in Gesellschaft der abgesondert verfolgten Amalie Korner und eines unbekannten Zivilisten in wiederholten Angriffen dem Ferdinand Stradel mehrere Säcke Kleie und eine größere Anzahl Jutesäcke,
2.) im Juni 1945 in Gesellschaft von Besatzungsangehörigen
a) 18 Schweine, 3 Kühe und 4 Schafe der Marie Strohmaier,
b) 4 Schweine und 6 Kühe dem N. Kurzmayer.

Ferdinand Schneider habe hiedurch
zu I) das Verbrechen des Mordes nach §§ 134, 135 Ziff. 4 Stg.
und
zu II) das Verbrechen des Diebstahls nach §§ 171, 173, 174 Ic, IIa
und 179 StG. begangen

und sei hiefür nach § 136 StG., unter Bedachtnahme auf § 34 StG.,
zu bestrafen.

Anträge:

1.) Anordnung einer Hauptverhandlung vor dem Geschworenengericht am Sitze des Kreisgerichtes St. Pölten,

2.) Vorführung des gem. § 180/2 StPO. in U-Haft zu belassenden Beschuldigten Ferndinand Schneider als Angeklagten zur Hauptverhandlung,

3.) Ladung der Zeugen: Emma Seif (verehel. Grasl), Maria Seif, Josefa Krammer, Stefanie Krammer, Johann Fuchsbauer, Theresia Mandl, Johann Schaider, Hinterbrühl, Hauptstr. 51, Gabriele Indinger, Anton Indinger, Josef Quirxtner, Erich Weyda, Josef Gattinger, Anton Müllner, Elfriede Strohmaier, Anna Maier, Karl Binsner, Johann Haselmann, Barbara Schmoll, Anna Resch, Karl Fröhlich, Josef Bruckner, Ferdinand Stradel, Hildegard Stadler, Franz Härtinger, Rosa Krimps, Alfred Brunner, Wien II., Handelskai 392, Amalie Korner, Leopold Haidinger.

4.) Ladung des Sachverständigen Doz. Dr. Norbert Wölkart, Institut für gerichtliche Medizin,

5.) gem. § 252 vorl. Abs. StPO. Verlesung der Anzeige, der Gendarmerieerhebungen, sowie der Strafkarte und Leumundsnote.

B e g r ü n d u n g :

Der Beschuldigte Ferndinad Schneider wurde am 22. 5. 1885 in Troppau, CSR., geboren. Seit 1911 lebt er in Österreich und war hier längere Zeit hindurch als Eierhändler und während der letzten Jahre als Hilfsarbeiter tätig. Er wohnt mit seiner Lebensgefährtin Amalie Korner als Mieter in Moosbierbaum Nr. 76.

Nach dem Einzug der russischen Truppen in dem Gebiet von Moosbierbaum im April 1945, trat der Beschuldigte sofort der kommunistischen Partei bei und wurde Gebietsleiter. In dieser Eigenschaft nahm er Verbindung zur damaligen russischen Besatzungsmacht auf, was um so leichter möglich war, da er tschechisch spricht und sich mit den Russen gut verständigen konnte. Auf Grund seiner politischen Funktion und der guten Beziehungen zu den Besatzungstruppen wurde Schneider bald deren Vertrauensmann. Diese Stellung benutzte er aber nicht dazu, um seinen Mitbewohnern größtmöglichen Schutz vor Übergriffen der Besatzungssoldaten angedeihen zu lassen, sondern er machte Soldaten noch ausdrücklich darauf aufmerksam, wo etwas zu holen sein und führte ihnen auch Frauen zu, die dann vergewaltigt wurden. Plünderungen der Soldaten fanden häufig in Anwesenheit und unter Anleitung des Beschuldigten statt.

Als Höhepunkt der Schreckensherrschaft Schneiders in Moosbierbaum und Heiligeneich erweist sich der unter Anklage gestellte Mord an dem Kaufmann Eduard Krammer.

Am 21. 4. 1945 traf der Zeuge Johann Fuchsbauer den Beschuldigten in Gesellschaft von zwei bewaffneten russischen Soldaten auf der Straße von Moosbierbaum nach Heiligeneich. Auf die Frage des Fuchsbauer, wohin er gehe, antwortete Schneider: ‘Illegale suchen’. Daraufhin gingen Schneider und die beiden russischen Soldaten in das Haus des Eduard Krammer in Moosbierbaum Nr. 20. Dieser hielt sich aber im Hause seiner Tochter Maria Seif in Heiligeneich Nr. 19 auf, an deren Haus er Dachreparaturen vornahm. Der Beschuldigte und die beiden russischen Soldaten begaben sich nun in das Haus der Maria Seif und forderten Krammer auf, vom Dachboden herunterzusteigen und mit ihnen zu kommen. Bei dieser Festnahme wurde Schneider von dem damals 9 Jahre alten Enkelkind des Krammer, Emma Seif, jetzt verehelichte Grasl, und von deren damaligen Spielgefährten Ludwig Helm gesehen.

Krammer wurde nun in sein Haus in Moosbierbaum Nr. 20 eskortiert. Hier musste er zunächst den Hauskeller öffnen und sodann einen Eimer Wein und eine Kanne Schweineschmalz, sowie eine Blechkassette mit sämtlichen Dokumenten der Familie Krammer auf einen Schubkarren laden. Nunmehr wurde Krammer veranlasst, den Kellerboden aufzugraben, um ein Hakenkreuzabzeichen, offenbar ein Mitgliedsabzeichen der NSDAP., zu suchen (Eduard Krammer war Mitglied der NSDAP. gewesen). Erst als Maria Seif in das Haus ihrer Eltern kam und sagte, ihr Vater habe sein Parteibuch verloren, durfte er das Suchen einstellen. Daraufhin stieg der Beschuldigte Schneider auf den Hausboden und begann dort zu suchen. Er fand eine Hakenkreuzfahne, warf sie vom Boden hinunter und zerriss sie dann. Dabei sprach er mit den russischen Soldaten. Nunmehr begaben sich die russischen Soldaten und der Beschuldigte in die Küche des Hauses Krammer und durchwühlten dort Wäschekoffer, die zur Durchsuchung dort hin gebracht werden mussten. Als Maria Seif ihren Vater fragte, ob er die Blechkassettte (mit den Dokumenten) auch mitnehmen müsse, antwortete Schneider in schreienden Ton: ‘Selbstverständlich muss die mit’. Sodann wurde Krammer von den Russen und dem Beschuldigten in das Haus des Josef Quirxtner gebracht. Der Wein und das Schmalz, welche auf dem Schubkarren geladen waren, wurden mitgenommen. Die Blechkassette trug Krammer unter dem Arm mit.

Wird fortgesetzt