Moosbierbaumer Dorfblatt'l. Unabhängige Moosbierbaumer Dorfzeitung
Jahrgang 7 • Ausgabe 19 • April 2005

 

Als der Sommer noch nach Wiese duftete ...

Kindheitserinnerungen von Gaby Eder

1. Teil

Ich wurde im Jahre 1949 geboren und wuchs mit meinem um vier Jahre älteren Bruder in dem weitläufigen Gebiet auf, das zum Raffineriewerk Moosbierbaum gehörte. Wegen der Zuständigkeit zu der damaligen Gemeinde Trasdorf hatte es die Bezeichnung Trasdorf Kolonie. Heute befindet sich dort ein großer Golfplatz. Die Siedlung mit den Objekten und den Gärten der Arbeiterfamilien war umgeben von Wiesen und kleinen Äckern. Viele Bombentrichter zeugten noch vom Krieg, der einige Jahre vor meiner Geburt zu Ende war.

Mein Vater war damals als Heizer in der Fabrik beschäftigt, die Mutter versorgte den Haushalt und besserte mit Nähen und Stricken das Familieneinkommen auf. Die Großmutter arbeitete bei Bauern in der näheren Umgebung und trug so mit den Naturalien, die sie heimbrachte, ebenfalls das ihrige zum Lebensunterhalt der Familie bei. Die Eltern hielten auch Hasen, Hühner und eine Ziege. So hatten wir Eier, Milch und ein wenig Fleisch.

Es gab kein Fließwasser in der Wohnung. Für unser Siedlungsobjekt stand den Bewohnern ein Pumpbrunnen in einem separaten Vorbau zur Verfügung. Von dort holte man kübelweise das benötigte Wasser. War ein Badetag, wurde der große Holztrog, in dem Mutter sonst die Wäsche wusch, in die Küche geschafft. Weil es so mühsam war, Wasser herbeizuschaffen, versteht es sich von selbst, dass damals nicht jeder ein Bad mit frischem Wasser bekam! Wir Kinder saßen gemeinsam im Trog, wurden eingeseift und geschrubbt. Beim Waschen und Kämmen meiner langen Haare gab es stets Geschrei. Für die Erwachsenen wurde dann jeweils etwas heißes Wasser nachgegossen und am Ende des Badetages weichte meine Mutter in dem - wie sie sagte - „guten Wasser, das man ausnützen müsse“ das schmutzige blaue „Schlossergewand“ meines Vaters ein, um es am nächsten Tag mit Waschrumpel und Schichtseife sauber zu bekommen. Meine nassen Haare wurden in ein Handtuch gewickelt, und so musste ich die ganze Nacht verbringen. Am Morgen flocht mir die Mutter zwei Zöpfe, eine Gretelfrisur oder einen schiefen Zopf, der über die Schulter nach vorne gelegt wurde.

Auf dem Gelände des heutigen SPAR-Marktes in Heiligeneich befand sich früher die Seilerei Indinger, wo nicht nur die Erwachsenen, sondern auch wir Kinder mit dem „Bandlknüpfen“ ein paar Schillinge dazuverdienen konnten. Wir holten mit dem Fahrrad große Bündel von Hanfschnüren ab und knüpften zu Hause Knoten an die Enden. Dazwischen fädelten wir jeweils ein kleines rotes Holzplättchen auf. Mit jedem „Bandl“ wurden wir flinker. Oft saß unsere gesamte Familie auf den Stufen im Gang (so nannten wir den langen Vorraum, der auch als Radabstellplatz herhalten musste). Während des Knüpfens plauderten wir und auch der Spaß kam nicht zu kurz. Die fertigen Schnüre brachten wir wieder in die Seilerei, wo sie dann den Bauern zum Garbenbinden verkauft wurden.

Eine weitere Verdienstmöglichkeit für uns Kinder war das Schneckensammeln. An Regentagen suchten wir nach Schnecken. Wenn man sie an ihrem Haus anfasste, war das „Schneckenklauben“ überhaupt keine eklige Angelegenheit. Der Mann, der sie uns abkaufte, zahlte nach dem Gewicht der Tiere. So fütterten wir sie einen Tag vor dem Abwiegen mit viel nassem Grünzeug. Erst viel später haben wir erfahren, dass es Leute gibt, die Schnecken essen. Bei dieser Vorstellung hat uns dann ordentlich gegraust.

Unsere Eingangstür wurde tagsüber nicht abgesperrt. Mit einer Ausnahme: Wenn „Agenten umgingen!“ Diese „Agenten“ oder auch „Umgeher“ genannt, waren in der Regel unerwünschte Staubsaugervertreter, für deren Produkte man in unserer Siedlung weder Geld noch Verwendung hatte. Denn die Holzböden wurden gerieben und gekehrt und wer im Besitz eines heißbegehrten „Gummibodens“ (Linoleumbelag) war, bearbeitete diesen vor Ostern und Weihnachten solange mit Bodenwachs, bis er spiegelte. Dieses Wachseln war eine mühsame Arbeit. Noch heute steht auf dem Dachboden meiner Eltern die schwere viereckige Bodenbürste mit der Gelenkvorrichtung in der Mitte, die es der Hausfrau ermöglicht hatte, mit einer langen Stange in jede Ecke zu gelangen. Für die Fleckerlteppiche und Sisalläufer benötigte man erst recht keinen Staubsauger, denn die wurden feucht abgekehrt und von Zeit zu Zeit gründlich geklopft.

„Der Lichtkassier kommt!“ Diese Nachricht konnte die Mutter schon arg in Bedrängnis bringen. Vor allem, wenn es dem Monatsende zuging und das Geld noch eine Weile reichen musste. Da wurde ebenfalls die Tür schnell zugesperrt, wir verhielten usn still - es war einfach niemand zu Hause!

Ja, am lieben Geld mangelte es oft! Meine Mutter erzählte uns einmal nach vielen Jahren, dass sie damals an manchem Sonntag den letzten Schilling vom Wirtschaftsgeld in den Klingelbeutel geworfen hatte.

Aufgeschlagene Knie und eingetretene Glasscherben waren für uns Kinder im Sommer an der Tagesordnung. Beim Turnen in der Schule trugen Buben und Mädchen schwarze „Glatthosen“ und gestreifte Ruderleibern. Im Winter bizzelten uns die eiskalten Finger und Zehen vor Kälte. Trotzdem zogen wir unsere Brettlhupfer erst bei einbrechender Dunkelheit nach Hause. Meine Baumwollstrümpfe wurden von Strapsen gehalten, die am unteren Rand der Unterleiberl angenäht waren. Um die Kältebrücke zwischen Leiberl und Strumpf gut abzudecken, musste ich in der kalten Jahreszeit stets eine warme, innen angeraute Unterhose mit Gummizug an den „Haxerln“ tragen. Solche Exemplare waren auch für Erwachsene in rosa, hellblau und beige erhältlich. Meine erste Strumpfhose aus Baumwolle bekam ich, als ich meine neue rote Strumpfhose das erste Mal ausführte. Damit jeder sehen konnte, dass ich im Besitz dieser Neuheit war, bückte ich mich fast ununterbrochen, um etwas aufzuheben oder zu betrachten...

Die Sirenen der Fabrik bestimmten das ganze Jahr über den Lebensrhythmus unserer Familie. Still, Vater schläft, er hat Nachtschicht!

Dem Radio auf der Wandkonsole über dem Küchentisch wurde ein besonderer Stellenwert beigemessen. Nichts schien für die Erwachsenen so wichtig zu sein wie die Nachrichten. Da hatten die Kinder still zu sein. Schon bei der Kennmelodie hieß es: Ruhe, Nachrichten!