Moosbierbaumer Dorfblatt'l. Unabhängige Moosbierbaumer Dorfzeitung
Jahrgang 5 • Ausgabe 15 • Dezember 2003

 

Adolf Hitlers Waffenkammer oder
Trasdorf - die Wiege der Raumfahrt?

Verfasst von Vizeleutnant Josef GOLDBERGER, Obmann-Stellvertreter
der „Moosbierbaumer Heimatkundlichen Runde“ nach Schriften des
Herrn Siegfried SELLE, vormals stellv. Dienststellenleiter des A4/V2 Heimatlagers „ISABELLA“, Oberfeuerwerker und Sprengmeister,
später Vizeleutnant des technischen Dienstes beim öBH/HMatA Wien,
verstorben im Jahre 1997.

Folge 3

Ein Abschuss
Am 31. Jänner 1945 wurde bei einem amerikanischen Luftangriff ein viermotoriger B-24 Liberator („Befreier“)- Bomber von einer der umliegenden Flak-Batterien abgeschossen. Vermutlich nach einem Doppeltreffer zerbarst das Flugzeug in mehrere Teile, die brennend abstürzten. Weil um die abstürzende Maschine kein einziger Fallschirm zu erkennen war, war klar, dass sich kein Besatzungsmitglied retten konnte.
Der Rumpf des Bombers schlug ca. 100 m außerhalb des Nordwesttores auf einem Acker auf, die anderen Flugzeugteile einschließlich des Leitwerkes schlugen innerhalb des Lagers auf. Die Besatzung war tot, Pilot, Co-Pilot, Funker und der MG-Schütze der Bodenwanne waren bis zur Unkenntlichkeit verbrannt.
Nach ihrer Bergung (durch verlässliche russische Kriegsgefangene) wurden die Leichen auf dem Friedhof von Heiligeneich beigesetzt und nach dem Krieg in die Vereinigten Staaten überführt.
Die Besatzung war für den Absprung über Feindesland sehr gut ausgerüstet. Pilot und Co-Pilot trugen unter der Fliegerkombi Zivilkleidung, alle Besatzungsmitglieder hatten nachgedruckte Lebensmittel - Abschnitte, auf Taschentüchern gedruckte Landkarten des Donauraumes von Wien bis Linz, eine Pistole P-11 (Colt Goverment) und Proviant für eine Woche.

Großangriff
Am 7. Februar 1945 (das war eine Woche nach dem erwähnten Flugzeugabschuss bzw. nur zwei Tage nach dem Abtransport der letzten V2) erfolgte ein Großangriff auf das Tullnerfeld mit ca. 400 - 500 Bombern des Typs B-17 und B-24.
Der Angriff zeichnete sich durch eine hohe Treffergenauigkeit aus. Schon beim ersten Schlag gingen alle technischen Einrichtungen verloren, die zur Aufrechterhaltung des Betriebes notwendig waren. Die dieselelektrische Lok für die Normalspur samt der Halle und das Stromaggregat waren getroffen. Die Gleisanlagen waren an mindestens dreißig Stellen durch Bombentrichter unterbrochen, vier Lagerhäuser und drei Munitionsbunker waren dem Erdboden gleich.

Bomberpilot wurde gerettet
Eine andere Begebenheit möge aber auch zu denken geben:
Der Pilot einer abgeschossenen amerikanischen Maschine landete mit dem Fallschirm unverletzt innerhalb des A4-Lagers. Der Bürgermeister von Trasdorf, der von den Nazis eingesetzte Watzendorfer Gastwirt namens Jo
sef Dinny, wollte diesen Piloten erschießen, wurde aber von einigen Wehrmachtsangehörigen daran gehindert.
Der Amerikaner kam in das Kriegsgefangenenlager nach Gneixendorf, wurde dort von den Russen befreit und kam dann nach Trasdorf zurück, um mit dem Nazibürgermeister abzurechnen. Dieser hatte aber schon vor dem Einmarsch der Russen Reißaus genommen.

Schwierige Entminungen
Nach jedem Angriff wurden Schäden im Lager schnellstens wieder repariert um die Anlage funktionsfähig zu erhalten. Am 7. Februar 1945 glaubte man, eine ziemlich große Anzahl von Blindgängern beobachtet zu haben. Dies war ein Trugschluss, denn eine gewisse Anzahl der Bomben war mit Zeitzündern versehen und sah somit vorerst wie Blindgänger aus. Diese Bomben konnten innerhalb von wenigen Stunden oder auch erst nach über einem Tag hochgehen.
Ein weiteres Problem stellten für die Entminungsspezialisten die vielen verschiedenen Zünder dar, die dabei verwendet wurden.
Einer der besten Bombenspezialisten, ein namentlich nicht genannter Hauptmann der Luftwaffe, wurde, nachdem er schon 190 500-Pfund-Bomben entschärft hatte, mit dem Ritterkreuz ausgezeichnet.
Beim Entschärfen seiner 191. Bombe geschah es, der Sprengkörper ging in die Luft und nahm dem Hauptmann das Leben.
War es mangelnde Vorsicht oder einfach Schicksal? Man wird es nie mehr erfahren.

Schwierige Entminungen
Am 8. Februar 1945 setzte die USAAF die Bombenangriffe fast in dem selben Ausmaß fort, um offensichtlich Reparaturarbeiten unmöglich zu machen. Viele Blindgänger und Zeitzünderbomben (man konnte sie nicht unterscheiden) wurden somit von anderen Detonationen wieder verschüttet, Entschärfungen wurden immer schwieriger, teilweise unmöglich.
Am 9. Februar 1945 waren schon eine Menge Störtrupps unterwegs, um Nachrichtenverbindungen zu reparieren, als per Funk die Luftlage durchgegeben wurde. Zu diesem Zeitpunkt hörte man auch schon das monotone Brummen der Bomberverbände. Herr Selle führte eine kleine Gruppe des Lagerpersonales, vor allem die verängstigten Frauen, Richtung Trasdorf. Schon nach 300 Metern mussten sie in einer kleinen Schottergrube Deckung suchen, da die erste Angriffswelle schon das Lager erreichte. Da die zweite Welle weiter nördlich im Bereich Dürnrohr-Zwentendorf niederging, schickte Herr Selle die Leute in den Steingraben, wo Erdhöhlen als Unterstand zur Verfügung standen, um Deckung zu suchen. Er selbst ging zurück ins Lager, um nach dem Rechten zu sehen. Was er vorfand, übertraf seine schlimmsten Befürchtungen: Die 12 Mann des Rücklasskommandos hatten in einem Luftschutzunterstand Schutz gesucht. Gerade dieser Unterstand hatte einen Volltreffer abbekommen, und keiner hatte überlebt!

Wird fortgesetzt.


Diese Aufnahme entstand 1955, und zehn Jahre nach der Räumung des Trasdorfer Lagers sieht man aus der Luft noch immer die fischgrätförmige Anordnung der Fundamente der V2-Lagerschuppen (im Bild rechts unten). Man kann auch noch den Verlauf der Lagerstraßen und Geleise erkennen. Die Äcker sind noch kleinteilig und nicht kommassiert. Dort, wo sich heute der kleine Teich mit dem Wohnhaus der Familie Göls befindet (westlich des heutigen Bauhofes) befand sich die erste Schottergrube der Firma Steiner. Das heutige Föhrenseegelände und das Gebiet des Gemeindebadeteiches wurde damals noch landwirtschaftlich genutzt. Welche Veränderungen in relativ kurzer Zeit!