Moosbierbaumer
Dorfblatt'l. Unabhängige Moosbierbaumer Dorfzeitung
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EDITORIAL Unser hyperaktive Zeitgeist beginnt bereits zu überlegen. Eine satirische Betrachtung über existentielle Tendenzen mit einem unerwarteten Abspann. Wir leben in einer äußerst unruhigen Epoche. Bisher altbewährte Werte scheinen plötzlich nur mehr lächerlich zu wirken - wir suchen unstet nach anderen, vermeintlich besseren, weil ach so modernen Thesen für eine andere Weltanschauung. In dieser Experimentierphase des neuen Zeitgeistes ist mancher neue Gedanke gut und weiter verwertbar, viele neue Ideen dienen jedoch nur zukünftigen Erkenntnisfindungen und bleiben schlußendlich weggeworfen auf dem Weg - der Weg ist das Ziel. Wir brauchen aber neue Erkenntnisse, wir müssen uns vorwärts bewegen, so verlangt es die Evolution. Jede Zeit hat ihre Vordenker, hat ihre Wegbereiter zu neuen, zu anderen Zielen Viele Gedanken werden von ihnen gesponnen, viele neue Ideen reifen in ihnen und gieren danach, verwirklicht werden zu können. Hat man sich privat einigermaßen etabliert und verfügt über etwas unausgelastete Freizeit verlassen schnell Erneuerungsgedanken den eigenen näheren Wirkungskreis und man will für alle, man will für die Öffentlichkeit Veränderungen herbeiführen - teils aus wirklicher innerer Überzeugung, für alle etwas Gutes zu tun, teils schwingt aber auch der Gedanke der persönlichen Denkmalsetzung seiner selbst mit diesen hehren Gefühlen einher. "Dorferneuerung" heißt eines der beliebtesten Reizworte vieler Vordenker. Man investiert seine Freizeit und darf dafür, gefahrlos weit entfernt seiner eigenen Wirtschaftslage, mit Fremdkapital wirtschaften. Vor der Tat muß aber der überzeugende Gedanke geboren werden, der Gedanke über das "Wie und Was" der geplanten Veränderungen und da beginnt das große Grübeln solange, bis der Geistesblitz einen Plan gebiert: anders, ja, völlig anders muß alles werden, anders, als alles bisher Dagewesene, denn Dorferneuerung muß nicht altbacken oder hinterwäldlerisch wirken, nein, wirklich nicht! Dorferneuerung muß nicht verzweifelt versuchen, Altes und längst Vergessenes wieder auferstehen zu lassen. Nein, denn das hatten wir doch bereits schon einmal alles, das haben wir doch bereits schon irgendwo irgendwann einmal auf alten Fotos gesehen, warum also wieder fad aufwärmen? Was wir brauchen sind avantgardistische Zukunftsperspektiven, Schrilles der Zukunft bereits vorausahnend oder auch zukunftsweisende futuristische Direktiven vorgebend für andere zum Nachmachen! Werden wir doch erste Entdecker und Erschaffer einer ortsbildnerischen Kommunalarchitektur und gleich auch noch eines neo-kommunalen Lebensführungsstils des aufkeimenden, alles verändern-wollenden 21. Jahrhunderts! Dorferneuerung also nicht nur für Immobilien sondern auch für die Bewohner dieser - geistige Dorferneuerung eben. Hinweg also mit der bisherigen Gemütlichkeit und dem weinseligen Raunzertum in den Kellergassen in urigen Kellergewölben oder in abendsonnedurchdrungenen weinrebenumrankten Heurigenschanken im Freien, heute sind doch nur mehr lautstarke, hyperaktive Events gefragt! Hinweg mit doch nicht wirklich Lebensqualität hebenden verkehrsberuhigten Hauptplätzen in den Dörfern, weg mit den Kinderspielplätzen, da kommt ja dann sowieso keiner hin, dort ist es doch "irre uncool" für die "Kids", ist ja nichts los dort! Also Kids: immer schön passiv sein, nur ja keine kindlich-kreativen Eigeninitiativen, einfach nur darauf warten, daß von irgendwoher Animateure auftauchen, die glauben, euch sagen zu müssen, wo und wie es langgeht - wenngleich oft auch nur zum alleinigen selbst-seligmachenden Selbstzweck dieser Animateure! Die Jungen verlassen später dann ziel- und planlos, Lemmingen gleich, in Scharen die Dörfer und pilgern in die nahen oder auch fernen Tanz- und Einkaufstempel, denn nur dort gibt es das so lustige, hippige Flaschensaufen, das 10-Schilling-Wettsaufen und das endlose Kaufvergnügen in den hell erleuchteten Einkaufs-Malls - hei, das ist lustig - saufen macht "high" und kaufen bis zum finanziellen Abwinken, bis die Kreditkarte im Bankomat verglüht, befriedigt anscheinend nachhaltig, oder doch nicht? Aber auch noch andere Themen regen zum Nachdenken an, wie zum Beispiel: Warum Hohlwege erhalten und was scheren uns die dort Zuflucht suchenden und letzten Lebensraum findenden Tiere? Her mit der Asphaltiermaschinerie und zugeteert, was sich nicht wehren kann; oder besser noch: man schüttet die Hohlwege gleich ganz zu, um die neugewonnenen Flächen fruchtgenüsslich verwenden zu können. Oder: Was sollen eigentlich noch die faden, verschrumpelten Brauchtumsveranstaltugen von vorgestern? Leute, erkennt doch die Zeichen der Zeit und die stehen auf Veränderungen! Wir wollen doch nicht noch länger lederhosen- und dirndel-bezogene schweißtriefende Tanzkörper mit hochrot erregten pausbackigen Gesichtern strampfend unter dudelnder Begleitmusik über das Tanzparkett torkeln sehen! Da muß mehr Schwung hinein, mehr "Riverdance", denn wir haben ja auch einen "River", nämlich die Perschling! Wäre doch einmal etwas anderes: die "Atzenbrugger PerschlingDancers" im unverwechselbaren Tullnerfelder Zeppel-Stakkato, auch "Stepdance" genannt, mit "240 steps per minute!" Lassen wir auch den "genius loci", unseren Franzl, den weltberühmten Komponisten Franz Schubert, der sommers vor längst vergangenen Zeiten weiland hier verweilend weilte, in Frieden ruhen, denn längst sind seine gefühlvollen Kompositionen den Wassern der Perschling zu fernen Gestaden gefolgt. Nur mehr ganz leise, fast unhörbar, mit dem Wispern des Sommerwindes in den Blättern der Zitterpappel vergleichbar, tönen seine Lieder durch heimatliche Gefilde und werden, wenn überhaupt, nur mehr von wenigen ortsfremden Ohren begeistert gelauscht. Ist doch alles nicht mehr gefragt, Leute! Heute muß es doch mindestens ein trommelfellzerreissendes "Clubbing" in einem zeitgemäß-stilvollen leicht zu säubernden Plastikzelt sein, das die Massen noch animiert, schwitzend und johlend "abzushaken", bis der Rausch den ausgemergelten Körper taumeln läßt! Doch gegen Schwächeerscheinungen im "ClubbingStress" gibt es bereits ein Mittelchen: da werfen wir ein Tablettchen ein und können ungeniert 3 Tage lang ununterbrochen tanzen - wenn es Herz und Kreislauf durchhalten! Findet sich dann trotz dieses dröhnenden Umfeldes ein Pärchen, das zu Hause noch einige lustvolle Stunden zu zweit verbringen will, dann keine Sorge, denn dann wirft der Galan eben ein blaues Pillchen ein und kann, sollte er nicht vorzeitig kollabierend der lauten und hastigen Welt "ade" sagen, stundenlang seine Lendenkraft unter Beweis stellen - echt geil, nicht wahr?! Sorgen vor unerwünschten Zeugungsergebnissen wegen größtmöglicher Körpernähe braucht das Pärchen ja ohnehin nicht zu haben - "frau" hat vorsorglich vorher bereits ihr Pillchen eingeworfen! Was soll noch die längst vergangene Art der zwischenmenschlichen Kommunikation des gemütlichen und in die Augen-blicken-könnenden Zusammensitzens bei einem Kaffee- oder Teeplausch? Warum noch Briefe schreiben, Briefe erhalten und daran denken dürfen: diese Zeilen wurden für mich auf diesem Blatt Papier, das ich jetzt in meinen Händen halte, von jemandem, der es vorher in seinen Händen hielt und der an mich gedacht hat, geschrieben? Auf diesem Blatt Papier ruhte seine/ihre Hand, als er/sie begann, an mich denkend Worte zu Sätzen zu formen, die für meine Augen und meinen Sinn gedacht sind. Heute haben wir doch Internet, e-mails und SMS. Ist doch viel bequemer, da braucht man den anderen nicht sehen und schon gar nicht riechen! Gefühllos liest man statt dessen auf sehschärfemindernden Computer-Displays seelenlose Zeilen im legasthenischen Stenogrammstil - genügt aber in unserem informationsgeilen, digitalen Zeitalter, oder? Deshalb also: Dorferneuerung in baulicher und geistiger Form ja, aber keine tränenerstickte Renaissance urgroßväterlicher Bauformen und Lebensweisen, sondern werbeträchtig schrill ausufernde Architekturen und gewinnsüchtig vermarktete Festivitäten, damit nur ja ein Event dem anderen Highlight folgen kann ..., ... oder kommen wir doch noch zur Besinnung auf unsere guten alten inneren Werte und lassen wir sie wirken? Begehen wir Dorferneuerung daher möglichst behutsam. Wir brauchen nicht gleich danach zu trachten, vorschnell Monsterprojekte, die die Ortsbevölkerung logischerweise durch verschiedenen Meinungen (Kostenfrage für die Allgemeinheit, Ortsbild, etc!) spaltet, durchzupeitschen. Das bringt Unruhe und Verstimmung. Vor der Realisation eines Projekts steht der Gemeinschaftsgedanke der Ortsbevölkerung. Erst wenn dieser vorhanden ist (und dieser Entwicklungsprozeß kann mitunter sehr lange dauern) sollte man mit einem kleineren Projekt beginnen, einem Projekt, das die Mehrheit der Ortsbevölkerung goutiert. Nach erfolgter innerer Dorferneuerung und daraus resultierendem ersten Gemeinschaftsprojekt wird sich auch ein neuer kommunaler Lebensstil zu entwickeln beginnen und vielleicht wird das fast schon verschwundene Hausbankerl als kleines dörfliches Kommunikationsmedium wieder aktiviert. Man sitzt gemütlich im kleinen Rahmen beisammen und plaudert über dies' und das - gelebte Dorfgemeinschaft eben. Ja, und dann kommen auch die Kinder aus dem Haus und spielen gemeinsam, zuerst auf der Straße (Wohnstraße mit 30 km/h Geschwindigkeitsbeschränkung!), dann wird man danach trachten, für die Kinder Kinderspielplätze zu bauen und man wird sehen: Kinder brauchen keine Animateure, sie spielen viel lieber miteinander und bauen somit im gemeinsamen Spiel ihr für ihr späteres Leben so wichtiges Sozialverhalten auf. Es gibt doch für Kinder nichts Schöneres, als in der freien Natur ihrem Spieltrieb nachzugehen. Damit wiederum wird ihr Interesse an der Natur und am Naturschutz geweckt werden und sie werden es wohl nicht verstehen, warum ihre Vorfahren dereinst oft so Schindluder mit Mutter Natur getrieben haben. Wahrscheinlich werden unsere Nachfahren einmal kopfschüttelnd so manchen Hohlweg wieder revitalisieren oder so manchen Feldweg von seinem darauf widerrechtlich entsorgten Beton- und Ziegelrecycling-Material mit beinhalteten Kabel- und Steckdosenresten befreien. Dieses Bekenntnis zur Natur unserer Heimat wird auch die Weiterführung und Weiterentwicklung unserer im bäuerlichen Leben tief verwurzelten ortstypischen Brauchtumsveranstaltungen fördern. Wir brauchen sie nämlich wirklich überhaupt nicht, diese alkoholexzessiven sogenannten "Clubbings" oder "Events", die als Brutstätten späterer Alkohol- und Drogensucht gelten. Dorferneuerung richtig durchgeführt kann also einen sehr langen Entwicklungsprozeß durchlaufen und durch ihre Veränderungen vielen Dorfbewohnern eine Steigerung ihrer Lebensqualität bescheren. Wir werden wieder die kleinen Freuden des Alltags erkennen und uns daran erfreuen lernen. Wir werden wieder den erholsamen Spaziergang durch Wald und Flur unserer Heimat zu jeder Jahreszeit genießen und beginnen, sie wieder zu hören, die alles umgebende Stille der Erkenntnis. Zeit wär’s! |
• Eine Kurze Geschichte der Zeit
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