Moosbierbaumer Dorfblatt'l. Unabhängige Moosbierbaumer Dorfzeitung
Jahrgang 3 • Ausgabe 7 • März 2001
 

100. GEBURTSTAG
Frau Maria Fohringer aus Moosbierbaum feierte am 23. Februar 2001 ein besonderes Jubiläum
Das neue Jahrtausend war noch keine zwei Monate jung und schon gab es in Moosbierbaum ein großes Fest zu feiern. Reminiszenzen einer 100-Jährigen in Wort und Bild.
von ALFRED FRÖHLICH

Eintrag ins Logbuch der immerwährenden Unendlichkeit. Nach wie vor dehnt sich das Universum nach dem Urknall vor einigen Milliarden Jahren mit rasender Geschwindigkeit aus. Die Erde schwirrt als winzig kleines Staubkorn im Dickicht unendlich vieler Galaxien hoffnungsvoll mit.

Seit Jahrmillionen befindet sich die Erde im Zustand einer rasanten Evolution. Meere entstehen, Kontinente zerbersten, Meteoriten schlagen zerstörend ein, aber Leben beginnt sich trotzdem zu entwickeln.

Weitere Jahrmillionen vergehen, Völker schlachten einander gegenseitig ab und Stärkere verdrängen oder vernichten Schwächere. Europa wird Schmelztiegel vieler Völker und ein Habsburger-Kaiser regiert ein riesiges Reich.

Am 17. März 1849 wird vom Kaiser das "Gemeindegesetz" sanktioniert. Ausgearbeitet von Innenminister Franz Graf Stadion bildet es mit seinen 177 Paragraphen die Grundlage des Österreichischen Gemeindewesens. Es beginnt mit den Worten: "Die Grundlage eines freien Staates ist die freie Gemeinde". In der von Leben pulsierenden Gemeinde Atzenbrugg mit seinem Bezirksgericht, dem Steueramt, einer Vielzahl von hier seßhaften Notaren und Angestellten sowie einer funktionierenden Infrastruktur mit vielen Kleinbetrieben und Geschäften wird 1897 der Wirtschaftsbesitzer Franz Rabacher zum Bürgermeister gewählt. Noch weiß er es nicht, aber er wird es bis 1918 bleiben.

Wir schreiben die Sternenzeit 1901 Christlicher Zeitrechnung. Seit 53 Jahren regiert der Habsburger-Kaiser Franz Joseph 1. die k.u.k. Donaumonarchie Österreich-Ungarn. Seit einem Jahr gibt es die Kronenwährung, eine Goldwährung. Sie ist ausschließlich Zahlungsmittel.

Eine Krone hat 100 Heller und entspricht seinem halben Gulden alter Währung.

Schon seit einem Jahr ist die „Österreichische Kronen-Zeitung" auf dem Markt. Sie kostet 4 Heller – genau so viel wie eine Semmel.

Es ist eine bitterkalte Winternacht, als sich am 23. Februar 1901 um 2 Uhr früh Herr Franz Gratz aus Moosbierbaum 43 (heute nicht mehr existentes Haus zwischen Haus Schramseis und Haus Bichler) auf den Weg nach Michelhausen aufmacht. Seine Frau wird an diesem Tag einer gemeinsamen Tochter das Leben schenken und um ärztlichen Beistand zur Geburt zu holen stapft Herr Gratz in finsterer Nacht und durch tiefen Schnee zum Arzt nach Michelhausen.

Die Hauptstraße von Moosbierbaum nach Rust und dann anschließend weiter nach Michelhausen führt noch über den alten Bahnübergang und weil so viel Schnee liegt steckt Herr Gratz, der bei der Straßenverwaltung beschäftigt ist, Schneestangen entlang seines weiten Weges, damit der Arzt schnell und sicher seinen Weg durch die Nacht zu seiner Frau finden soll.

Bald erblickt ein kleines Mädchen, das den Namen Maria erhalten wird, an besagtem Tag als jüngstes von 9 Kindern des Moosbierbaumer Ehepaares Gratz das Licht dieser Welt. Daß dem Mädchen ein sehr langer Lebensweg in die Wiege gelegt worden ist, weiß sie jetzt natürlich noch nicht.

Vier Jahre später zieht die Familie Gratz um in das Haus Moosbierbaum 58 (heute Haus der Familie Josef und Anna Fohringer). Als kleines Kind begleitet Maria ihren Vater sehr gerne, wenn er dienstverrichtend mit der mit Streusand befüllten Scheibtruhe im Winter die eisglatte Straße streut. Sie sitzt dann ganz stolz in der Scheibtruhe und fährt mit. Aber auch im Moosbierbaumer Milchkasino hilft Maria oft ihrem Vater bei der Arbeit. Ehe Maria sich's versieht ist die sorglose Kleinkindzeit vorbei und der Ernst des Lebens fordert von ihr den Schulbesuch. Gerne erinnert sie sich heute an ihre Schulzeit zurück, an ihren Lehrer, Herrn Peter, von dem sie den Vornamen vergessen hat und auch an ihre vielen Schulkameraden und -kameradinnen. Heute sind bereits alle lange verstorben - sie hat alle überlebt.

Am 28. Juni 1925 heiratet Maria Gratz in der Pfarrkirche in Heiligeneich. Vor Pfarrer Franz Grießler gibt sie Franz Fohringer, einem Bahnbediensteten, das Ja-Wort.

Franz Fohringer wurde am 11. Februar 1901 in Rust im Tullnerfeld geboren, also nur wenige Tage vor der Geburt seiner Braut. Der Ehe entsprießen 5 Kinder.





Ob sie den Kaiser gesehen hat, will ich neugierig wissen. Den Kaiser? Nein, den Kaiser hat sie nie zu Gesicht bekommen. Zwei Weltkriege, in denen viele Verwandte und Bekannte ihr Leben lassen mußten, hat sie erlebt und damals viel Elend und Not gesehen und am eigenen Leib verspürt.

Seit 9. März 1971 ist Frau Maria Fohringer Witwe. 1983 ist sie umgezogen, vom Elternhaus Moosbierbaum 58 nach Moosbierbaum 93 zur Tochter gleich vis-á-vis über die Straße. Jetzt heißt die Anschrift "Sackgasse 58" - seltsame Fügung des Schicksals: die Hausnummer ist wieder zu ihr zurückgekommen.

"Da Bundeskaunzla Figl hod in da Goss'n sein Kölla g'hobt. Do gabats Soch'n zum Dazöh'n!" Schmunzeld und wissend nickend behält sie ihre wahrscheinlich delikaten Erinnerungen an den großen Staatsmann aber für sich.

Am 23. Februar 2001 feierte Frau Maria Fohringer ihren 100. Geburtstag in einer ihrem Alter entsprechenden Frische. Darauf angesprochen, ob sie ein Geheimrezept für ihr langes Leben hätte, sagt sie: "Ih hob nia an Wein trunk'n, hob nie g'raucht und imma g'sund g'lebt. Ih hob hoid a g'sunde Natur. Obst hob ih imma gean g'ess'n, am liebst'n a Buttabrod und dazua an Opfe. Ih hob imma an klan Proviant eing'steckt g'hobt, waun ih aussa Haus gaunga bin."

Urlaub hat sie auch einmal gemacht, am 15. September 1967 war sie mit ihrem Mann in Bad Ischl. Gefahren wurde mit der Eisenbahn, mit einer Freifahrt, die ihrem Mann, als Bahnbediensteten einmal jährlich zustand. Aber, wie gesagt, "einmal" hat sie nur Urlaub gemacht, und nicht öfter. Mit dem zufrieden lächelnden Gesicht eines lebensweisen in Ehren ergrauten Menschen sitzt sie mit mir in der Küche und erzählt mir aus ihrem Leben.

Einige schwere Operationen hat sie schon durchstehen müssen und einmal ist sie zur selben Zeit im selben Spital gelegen, wie ihr Traupfarrer Franz Grießler.

Ein uraltes Klassenfoto der zweiten Klasse wird gebracht. Lange schaut sie das Foto an und wehmütig und nachdenklich wird einem zumute, wenn man bedenkt, daß bereits alle auf diesem Foto abgebildeten Kinder längst als mehr oder minder betagte Menschen den Weg, der vor uns allen noch liegt, gegangen sind, alle, außer ihr.

Ein Foto der Moosbierbaumer Dorfmädchen von anno dazumals, alles bildhübsche Mädchen, spiegelt dramatisch die Vergänglichkeit, die, allem Leben um uns anhaftet, wider.

Frau Fohringer ist müde geworden vom vielen Erzählen und Fotos anschauen. Ihre Augen, die schon so lange so viel sehen haben dürfen, blicken jetzt seltsam glückselig und wissend auf ihre Gäste. Wahrscheinlich weiß sie viel mehr und empfindet viel tiefer als wir alle, die wir hier bei ihr sitzen...

Es ist Zeit geworden aufzubrechen. "Daunk scheh, daß do woats. Es hod mi wiakli g'freit, daß kumman seits. Pfiat eich God!"

Auch uns hat es sehr gefreut, daß wir bei ihr sein durften. Alles Gute zum 100. Geburtstag, liebe Frau Fohringer, und wir wünschen Ihnen, daß Ihnen der Herrgott noch einige Zeit geben wird, um auf unser aller Mutter Erde verweilen zu dürfen!

Der Pilot eines Düsenjets hoch über mir schaltet auf Schubumkehr, als ich das Haus verlasse. Der Flughafen Schwechat wird angebremst.

Als ob ich urplötzlich aus einer längst vergangen, aber noch überdeutlich in mir spürbaren Epoche wieder in die Gegenwart gestoßen würde, genauso fühle ich mich. Doch, was ist eigentlich die Gegenwart...?

Wir schreiben die Sternenzeit 2001 Christlicher Zeitrechnung. Es ist 100 Jahre später geworden und derweil hat die Ewigkeit nicht einmal einen leisen Atemzug getan.

Mit unverminderter Geschwindigkeit rast die Erde noch immer durch die unergründliche Unendlichkeit des Kosmos. Unsere Erde, auf der wir innehaltend verweilen dürfen auf unserer mysteriösen Reise in ein unbekanntes Abenteuer, das “ewiges Leben” heißt..

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• Gemeindechronik

• Eine kurze Geschichte der Zeit

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