Moosbierbaumer Dorfblatt'l. Unabhängige Moosbierbaumer Dorfzeitung
Jahrgang 7 • Ausgabe 20 • August 2005

 

Als der Sommer noch nach Wiese duftete ...

Kindheitserinnerungen von Gaby Eder

2. Teil uns Schluss

Doch die meiste Zeit waren wir sowieso mit anderen Kindern zusammen, pflückten Wiesenblumensträuße, flochten Kränze aus Margeriten und spielten im Freien unsere Gruppenspiele. Beim Versteckspielen wurde an den Hauswänden „eingeschaut“ und „abgeklatscht“, Wäschestangen auf der Wiese waren Abgrenzungen für „Schneider, Schneider, leih mir d Scher“. Eine kleine Wissenschaft waren die Auswahl der kantigen Steine zum Einzeichnen der Felder für das Tempelhüpfen und das Auswählen der flachen Steine zum Platteln auf dem Wasser. Bei all diesen Spielen, dem „Zehnerln“, „Vogelverkaufen“, ja, selbst beim „Lasst die Räuber durchmarschieren“ und „Versteinern“ auf der Wiese waren sowohl Mädchen als auch Buben dabei. Ausnahmen bildeten „Räuber und Gendarm“ und Fußballspiele, die in der Regel den Buben vorbehalten waren, so wie umgekehrt die Puppenspiele den Mädchen. Wir lernten auf den alten Rädern unserer Eltern Fahrrad fahren. Welches Kind kennt heute das fast artistisch anmutenden Gefühl, auf einem Herrenrad, - so unter der Stange durch - mit den Beinen zu radeln und seitlich mit dem Körper das Gleichgewicht zu halten? Aus heutiger Sicht gab es damals viele Gefahrenquellen für Kinder. Ob es der Ölteich war, die Bombentrichter, die „Baga“ beim Klubheim, der Farkas-Teich - unser Badeparadies - oder der Hager-Teich, der immer mehr versumpfte und als „Krotnlockn“ besonders die Buben anlockte. Unser Spielplatz war riesig und wir kamen tagsüber nur heim, wenn wir Hunger hatten. Dann holten wir uns schnell ein Schmalzbrot, tranken ein Glas Wasser und fanden erst wieder am Abend zurück nach Hause.

In unserer Siedlung hörte man nur selten ein Auto. Außer dem Fabriksautobus, der die Kinder der Arbeiter morgens zur Schule nach Heiligeneich brachte, sah man noch einmal pro Woche das Lieferauto des Bäckers und im Spätsommer einmal den klapprigen Kleinlaster des Apfelmannes. Gelegentlich war auch das Doktor-Auto des allseits beliebten Arztes Haussteiner zu sehen, wenn er Patienten besuchte. Für uns Kinder war Kranksein jedoch meistens besonders schlimm. Fußverletzungen wegen eingetretener Nägel und Glasscherben heilten irgendwie immer von selbst und Erkältungen wurden mit Hausmitteln auskuriert. Je nachdem, woran wir litten, bekamen wir bei Husten einen Schmalzfleck, bei Fieber Wadenwickel verpasst oder wir mussten mit der Decke über dem Kopf den heißen Dampf aus dem Wassertopf inhalieren. Meine Mutter achtete aber streng darauf, dass wir erst nach drei fieberfreien Tagen wieder zur Schule gingen. Das Kranksein hatte auch etwas Gutes, weil man da von der Mutter ein wenig verwöhnt wurde. Besonders schön fand ich es, wenn mir meine Mutter aus dem großen, rotgebundenen „Wunderwelt-Buch“ vorlas. Während sie am Herd stand und kochte, sang sie mir alte Lieder vor. Auch das damals moderne Lied vom Caprifischer hörte ich gerne. Außerdem durfte ich sogar am Nachmittag das Wunschkonzert im Radio anhören, während ich auf dem Bett in der Küche meine Krankheit auskurierte - nicht nur wie sonst üblich, das abendliche „Das Traummännlein kommt“!

Auf diesem Bett lag sonst der Vater manchmal nach dem Essen und schnarchte ein wenig. Das Schnarchen stritt er übrigens immer ab ...

Ich liebte es, gemeinsam mit meinem Vater zu essen. Wenn ihm die Mutter vor dem Schichtbeginn ein Reindl mit Eierspeise hinstellte, lief auch ich schon um eine Gabel. Blutwurst schmeckte ihm besonders. Aufmerksam sah ich ihm zu, wie er sie enthäutete und in Scheiben schnitt. Auf das Holzbrett gab er ein Häufchen Salz und ein Häufchen Pfeffer. Dann schnitt er die Scheiben einmal durch, spießte die „Blunzn“ mit dem Messer auf und tauchte die Schnittfläche in Salz und Pfeffer. Das scharfe Messer führte er zum Mund und löste das Aufgespießte gekonnt mit seinen Lippen ab. Für mich legte er klein geschnittene Stücke auf das Brot. Meine Mutter schnitt nie einen Brotlaib an, bevor sie nicht drei Kreuze mit dem Messer daraufgezeichnet hatte.

Wenn Vater in die Schicht ging, gab ihm die Mutter die Jause stets in eine eckige Blechbüchse, die an der Seite Luftlöcher hatte. Im Sommer wurde eine Flasche Zitronentee, im Winter eine Thermosflasche mit heißem Tee in die Arbeitstasche gepackt.

Von Abbruchhäusern klopften meine Eltern viele Ziegel ab. Die Hälfte der geputzten Steine durften sie für sich behalten und konnten sich so den Wunsch nach einem eigenen Haus verwirklichen. Nach jahrelanger Bauzeit zogen wir mit den Eltern und der Großmutter in das Haus ein. Gebadet wurde nun nicht mehr im Holztrog, sondern in einer richtigen Badewanne, die in der Waschküche stand. Das Wasser kam aus der Leitung und wurde im Waschkessel heiß gemacht. Richtig praktisch hatten wir es nun! Wenn Waschtag war, konnten wir gleich die Wäsche in der Badewanne, die neben dem Kessel stand, einweichen. Ja, alles war einfacher geworden. Einen Fernseher bekamen wir erst, als ich schon in die Lehre ging und meinen ersten Freund kennenlernte. Das neue Gerät thronte auf einem eigenen Tischchen in der Küche und verdrängte unser altes Radio auf den zweiten Platz. Dann verging die Zeit immer schneller. Mit achtzehn Jahren, kurz nach meiner Friseur-Gesellenprüfung, verliebte ich mich in den Uhrmachergesellen Hans Eder, und bald darauf, im Jahre 1969, heirateten wir und zogen vorerst in die Mansarde im Hause meiner Eltern.

Die Windeln meines ersten Kindes kochte ich noch im Waschkessel aus, ich zog meiner kleinen Tochter Erstlingshemdchen mit Rückenbändern und eine zartrosa Ausfahrgarnitur mit Muschelmuster an. Das nächste Kind, ein Sohn, bekam aktuelle, saugfähige Windeleinlagen, die waschbar waren und er trug bunte Hemdchen mit Knöpfen an der Vorderseite. Bei meinem zweiten Sohn wäre ein Leben ohne Wegwerfwindeln schon undenkbar gewesen. Zu dieser Zeit bewohnten wir eine Dienstwohnung in Zwentendorf und besaßen ein altes Auto. Wir sparten fleißig, und zogen nach jahrelanger Bauzeit nach Heiligeneich in das Haus von Tante und Onkel, das wir aufgestockt hatten.

Die Jahre des Kindergartens, der Schule und des Studiums der Kinder vergingen wie im Flug. Viele Pullover, Westen, Mützen, Schals und Fäustlinge habe ich in dieser Zeit für die drei gestrickt. Und plötzlich waren sie erwachsen geworden.

Manchmal kommt es mir vor, als vergehe jetzt ein Jahr viel schneller, als in meiner Kindheit eine Woche. Woran das wohl liegen mag?

Wenn meine Enkelkinder betteln, ich solle ihnen doch von früher erzählen, komme ich ihren Bitten gerne nach. Meine Kinderzeit ist gut in meinem Gedächtnis gespeichert und stets abrufbar. Tief ist sie mit all den kleinen, scheinbaren Nebensächlichkeiten als Erinnerungsschatz in mir vergraben.

Oft frage ich mich, warum man heute trotz Waschmaschine, Wäschetrockner und Geschirrspüler so oft unter Stress steht - ein Wort, dass ich meine Eltern früher nie sagen gehört habe, obwohl sie immer hart gearbeitet hatten. Keiner muss heute noch Wäsche rumpeln oder Holzböden reiben und dennoch wird uns oft der Tag zu kurz! Ich glaube, unsere Stunden sind heutzutage so bedrängt von den vielfältigsten Angeboten, die Freude in unser Leben bringen, uns den Alltag erleichtern oder die Freizeit versüßen sollen, dass es dann oft schwerfällt, das Richtige auszuwählen und noch Zeit für die kleinen Dinge des Lebens zu erübrigen.

Wenn ich auf mein bisheriges Leben zurückblicke, muss ich jedoch sagen, dass gerade diese scheinbaren Nebensächlichkeiten und Alltäglichkeiten unendlich wichtig sind. Ich bin überzeugt, das große Glück besteht aus vielen kleinen, schönen Augenblicken, die in ihrer Vielfalt den Großteil unserer guten Erinnerungen ausmachen. Je mehr ich darüber nachdenke, umso wichtiger wird es mir, einen stillen Platz zu finden, an dem ich immer wieder in dieser schnelllebigen Zeit dem Druck der allgemeinen Hektik wenigstens für eine Weile entfliehen kann. In dieser Ruhe ist es mir dann möglich, meine Eindrücke und Erlebnisse an Gottes Maßstäben zu messen, um sie anschließend in der richtigen Art und Weise einordnen und verarbeiten zu können.

Deshalb gehe ich auch von Zeit zu Zeit in der Welt meiner Kindheit spazieren und denke gerne an die Zeit zurück, als es für die Zukunft keine Zäune gab, der Sommer noch nach Wiese duftete und der Schnee im Winter meterhoch die Wege verwehen durfte.

Gaby Eder