Moosbierbaumer
Dorfblatt'l. Unabhängige Moosbierbaumer Dorfzeitung |
|
Die Akte SchneiderIn dieser Ausgabe beenden wir den Abdruck der Anklageschrift gegen den Moosbierbaumer Eierhändler Ferdinand Schneider, der 1945 nach dem Einmarsch der Russen dank seiner Sprachkenntnisse sich als Dorfkaiser aufzuspielen begann. In den vorangegangenen Folgen konnten Sie lesen, wie er die Festnahme und Ermordung des Kaufmannes Eduard Krammer durch die Russen veranlasste, damit er sich leichter in den Besitz dessen Geschäftes bringen konnte. Zur Charakterisierung der Schreckensherrschaft des Ferdinand Schneider im Jahre 1945 in Moosbierbaum und Heiligeneich, seien auch die übrigen von ihm begangenen Verbrechen, welche von der Gendarmerie einwandfrei aufgeklärt wurden, jedoch wegen Verjährung nicht mehr unter Anklage gestellt werden können, aufgezeigt: So versuchte der Beschuldigte Ende April 1945 den Gastwirt Anton Müllner an die Besatzungsmacht auszuliefern. Vier Soldaten unter der Führung Schneiders begaben sich in der Nacht zum 29. April 1945 zum Hause Müllners und machten Anstalten, den Zaun zu überklettern. Der Menschenraub unterblieb nur deshalb, weil Müllner, als er die Soldaten über den Zaun klettern sah - er hatte zufällig zum Fenster hinausgeschaut - aus dem Haus flüchtete. Auch den Johann Schaider versuchte der Beschuldigte an die Besatzungsmacht auszuliefern. Der Beschuldigte bestimmte Schaider unter dem Vorwand, Sportgeräte für eine zu gründende kommunistischde Jugendorganisation zu holen, nach Wien zu fahren. In Tulln wurde Schaider im Zug durch russische Polizisten festgenommen. Diese hatten bei der Festnahme dasselbe Passbild, welches Schaider vor Antritt der Fahrt nach Wien dem Beschuldigten übergeben hatte, weil dieser gesagt hatte, er brauche es für einen dem Schaider auszustellenden Pass. Nach seiner Festnahme in Tulln wurde Schaider nach Wien und von hier am nächsten Tag in ein Lager nach Steinamanger gebracht, aus dem er flüchten konnte. Schaider, der russisch versteht, war auch Zeuge, als der Beschuldigte, welcher über die Sprachkenntnisse Schaiders nicht unterrichtet war, in Moosbierbaum einen gewissen Mandl den Russen als Faschisten denunzierte und sie aufforderte, ihn zu holen. Daraufhin wurde Mandl tatsächlich gesucht, aber nicht gefunden. Im April 1945 forderte der Beschuldigte den Erich Weyda auf, ihm sein Pferd, welches er gerade auf der Strasse führte, zu überlassen, weil er es für die Russen benötige. Weyda, dem die Machtstellung Schneiders bekannt war, kam der Aufforderung des Beschuldigten nach und übergab ihm das Pferd. Noch am selben Tag aber begaben sich Erich Weyda und sein Vater zu Schneider in dessen Stall, wo sie das requirierte Pferd fanden und wieder zurückführen konnten. Von einem Auftrag der russischen Besatzungsmacht, ein Pferd zu bringen, war somit keine Rede. Ende April 1945 machte der Beschuldigte russische Soldaten auf die Schlafstelle der X. X. aufmerksam. Dies hatte zur Folge, dass die Genannte in einer Nacht von 7, in einer weiteren von vier Soldaten vergewaltigt wurde. Auch eine namentlich nicht bekannte ausländische Arbeiterin, die im Hause des Landwirtes Kaiblinger arbeitete und wohnte, spielte Schneider den Soldaten in die Hände. Die Frau wurde in den Hof des Landwirtes Fohringer, wo eine Telefonabteilung einquartiert war, beordert, und dort von Soldaten vergewaltigt. Den Auftrag Schneiders an die Landarbeiterin, zu Fohringer zu kommen, musste Josef Gattinger überbringen. Auch zu den Frauen Anna Stadler und Rosa Fröhlich (verehelichte Krimps) musste Gattinger gehen, um sie für Soldaten zu Fohringer zu holen. Diese beiden Frauen konnten sich aber in Sicherheit bringen, Rosa Fröhlich (Krimps) insbesondere durch die Hilfe ihres Bruders Alfred Brunner, der als ehemaliger KZ-Häftling seinen Einfluss geltend machte. Am 30. 5. 1945 zwang der Beschuldigte den Hilfsarbeiter Johann Fuchsbauer, am 31. 5. 1945, dem Fronleichnamstag, für die Russen Gras zu mähen. Als Fuchsbauer berechtigterweise einwendete, der Fronleichnamstag sei sogar von der örtlichen russischen Kommandantur als Feiertag anerkannt worden, wurde er von Schneider mit den Worten: „Wenn du nicht willst, schicke ich dir zwei Ruski“, bedroht. Schliesslich musste sich Fuchsbauer der Gewalt des Beschudigten beugen und die ihm aufgetragene Arbeit verrichten. Der Beschuldigte leugnet, den Mord an Eduard Krammer begangen zu haben. Er gibt allerdings zu, an der Festnehmung und an dem Verhör Krammers teilgenommen zu haben. Zu seiner Teilnahme sei es jedoch nicht aus eigenem Antrieb, sondern über Aufforderung der russischen Soldaten gekommen. Nach der Vernehmung Krammers im Hause des Quirxtner habe er sich aber sofort entfernt. Auch leugnet der Beschuldigte, dass er sich in den Besitz der Familie Krammer habe setzen wollen, obwohl urkundenmässig, nämlich durch das Schreiben der Bezirksleitung Tulln an die Gebietsleitung Heiligeneich der KPÖ. nachzuweisen ist, dass der Beschuldigte sich tatsächlich den Besitz der Familie Krammer aneignen wollte. Auch die unter Anklage gestellten Diebstähle und Anstiftung hiezu, sowie die zur Illustration angeführten Fakten leugnet der Beschuldigte. Er wird jedoch durch die beantragten Beweise zu überführen sein. Staatsanwaltschaft St. Pölten, am 4. Dezember 1956
„Ich wohnte im Jahr 1945 im Hause meiner Eltern Eduard und Josefa Krammer in Moosbierbaum 20. Wir betreiben dort ein Kaufmannsgeschäft (Gemischtwarenhandlung und Tabaktrafik) und ich wohne auch heute noch dort und betreibe dieses Geschäft gemeinsam mit meiner Mutter. Beim Nahen der Front, am 7. April 1945, zogen meine Eltern und ich in den Keller des Landwirtes Figl Josef in Moosbierbaum. Unser Haus sperrten wir während dieser Zeit ab. Am 9. April 1945 kamen die Russen zu uns in den Ort. Mein Vater ging während der Kampftage immer nach Hause, um dort nach dem Rechten zu sehen. In unserem Haus befanden sich russ. Soldaten und im Garten war eine Granatwerferstellung eingegraben. Die russ. Soldaten ließen meinen Vater immer in Ruhe. Meine Schwester Maria Seif, geb. Krammer besaß in Heiligeneich ein Haus und hatte durch Kampfeinwirkungen am Dach dieses Hauses Schäden. Mein Vater ging nun ca. vom 17. 4. 1945 an jeden Tag nach Heiligeneich zu meiner Schwester, um das Dach dieses Hauses auszubessern und in Ordnung zu bringen. Am 21. April 1945 war mein Vater wieder bei meiner Schwester in Heiligeneich um dort das Dach an deren Haus zu reparieren. Um ca. 17.00 Uhr des 21. 4. 1945 (es war dies ein Samstag) befand ich mich gerade im Garten meines Elternhauses und verrichtete dort Gartenarbeiten. Um diese Zeit kamen dann bei der Hoftüre zu unserem Hause mehre Personen herein. Es war mein Vater in Begleitung zweier russischer Soldaten, weiters war noch der Österreicher Ferdinand Schneider dabei. Ich holte, während Schneider, die russ. Soldaten und mein Vater in das Haus gingen, meine Mutter. Als wir zurückkamen, hatte gerade mein Vater den Keller geöffnet und die darin verwahrten Sachen heraufgeholt. Meine Mutter und ich weinten, da kam der eine russ. Soldat und sagte, „nix weinen, das alles dir, nur Wein und Schmalz mitnehmen.“ Die russ. Soldaten gaben uns die Wäsche, nur ein Faß mit einem Eimer Wein und 25 kg Schweinefett nahmen die Soldaten mit, dies wurde auf unseren Schubkarren aufgeladen, und damit auch weggeführt. Eine Blechkassette mit unseren Dokumenten und Papieren, die auch im Keller versteckt war, musste mein Vater tragen. Die zwei russ. Soldaten und Schneider nahmen meinen Vater mit und mein Vater kam nicht mehr nach Hause. Wir fragten immer nach ihm nach und niemand konnte uns sagen, wo mein Vater sei. Am 24. April 1945 wurde ich von den Russen zum Schanzengraben geholt und da sagte meine Mutter zu mir, vielleicht würde ich dabei meinen Vater treffen, da er vielleicht auch Schanzengraben müsse. Am 29. April 1945 kam ich vom Schanzengraben zurück. Als ich nach Hause kam, fiel mir sofort auf, dass meine Schwester Maria Seif und meine Mutter schwarz gekleidet waren. In der Folge fragte ich meine Mutter, was mit Vater sei. Sie drehte mir den Rücken zu und sagte, sie wisse noch nichts. Ich legte mich dann zu Bett, da ich todmüde war vom Schanzengraben. Nachmittags um 14.30 Uhr kam der Buchhalter Rachovsky um von dem Landwirt Figl die Milch zu holen. Dabei drückte er meiner Mutter sein Beileid aus. Nun wusste ich was los war und meine Mutter sagte mir, dass mein Vater erschossen worden und dann am Felde neben der Straße Heiligeneich - Hütteldorf gefunden worden sei. Weiters erzählte sie mir, dass mein Vatter am Samstag (28. 4. 1945) begraben worden sei. Die Bäckermeistersgattin Theresia Mandl erzählte meiner Mutter, dass am 21. April 1945, abends gegen 21.00 Uhr, zwei russ. Soldaten und Schneider mit unserem Vater bei der Schule vorbeigegangen seien. Dabei habe mein Vater zu ihr gesagt: „Frau Mandl, wenn Sie einen Schuss hören, der gilt mir!“ Am 30. Mai 1945, um ca. 12.00 Uhr mittags, kam ein reichsdeutscher Staatsangehöriger, ein Bursche von ca. 20 Jahren in unser Haus, der bei Ferdinand Schneider in der Gebietsleitungskanzlei der Kommunistischen Partei tätig war, und brachte uns ein Schriftstück, das von Schneider unterfertigt war und den Stempel der Gebietsleitung der Kommunistischen Partei trug. Der Bursche übergab dieses Schriftstück mit den Worten, dass es meine Mutter lesen solle. Das Schriftstück hatte den Inhalt, dass wir, also unsere Familie, bis 18.00 Uhr abends das Haus unter Zurücklassung des gesamten Inventars zu verlassen hätten und die Schlüssel zum Haus in der Kanzlei der Gebietsleitung abzugeben seien. Daraufhin ging meine Mutter mit meiner Schwester Maria sofort zum damaligen Bürgermeister nach Atzenbrugg. Es war dies Johann Haselmann. Hernach fuhren sie nach Tulln zum Bezirkshauptmann Sykora. Von dort brachten sie einen Zettel mit, dass wir nicht ausziehen müssen. In der Zwischenzeit, um ca. 18.00 Uhr, kam der Bursche der Kanzlei der Gebietsleitung der KPÖ zu uns in das Haus um die Schlüssel zu holen. Ich sagte ihm, er müsse warten, bis meine Mutter von Tulln zurück sei. Um ca. 20.00 Uhr kamen meine Mutter und meine Schwester zurück und kurz nachher erschien der Bursche der Gebietsleitung neuerlich, um die Schlüssel zu holen. Meine Mutter ließ ihn das Schreiben lesen, dass sie von der Bezirksleitung der KPÖ in Tulln erhalten hatte und womit ihr das Verbleiben im Hause gestattet wurde. Daraufhin entfernte sich der junge Mann. Hernach war Ruhe.“ Donnerstag, 29. Juni 2006. Ein trüber, wolkenverhangener Tag, der erste nach einer langen Reihe von heißen Frühsommertagen. Irgendwie schien diese melancholische Stimmung zu meinem Vorhaben zu passen. Ich war unterwegs ins Weinviertel. Mein Ziel war Bad Pirawarth, ein Tausend-Seelen-Ort 20 km südlich von Mistelbach. Hier wollte ich die Antwort finden auf jene Frage, die mich beschäftigte, seit ich diese Anklageschrift in meine Hände bekommen hatte: Wie lange musste Ferdinand Schneider für jene Taten büßen, die ihm dort vorgeworfen wurden? Ältere Leute, die ich befragt hatte, konnten (oder wollten) mir darüber keine Auskunft erteilen ... Warum ich gerade in dieses für uns doch am Ende der Welt liegende Dorf fuhr? Richter Dr. Andreas Heneis aus Heiligeneich (der Sohn unseres ehemaligen Schuldirektors), den ich diese Anklageschrift lesen ließ, machte mich darauf aufmerksam, dass Protokolle von Geschworenengerichtsurteilen archiviert werden. D. h., ich sollte mich in diesem Falle ans LG St. Pölten wenden. Ende vergangenen Jahres begab ich mich nun dorthin. Zwei Sekretärinnen, denen ich mein Original zeigte, waren darüber sehr erstaunt und verwiesen mich sofort an Regierungsrat Leopold Nagl. Auch dieser war überrascht, dass so ein Dokument nach so langer Zeit wieder aufgetaucht wart und machte sich sofort auf, das dazugehörige Urteil zu suchen. Nach einer halben Stunde kehrte er zurück und teilte mir mit, dass dieser Akt nicht mehr im Hause sei - sondern im Zentralarchiv in Bad Pirawarth. Er verschaffte mir umgehend einen Kontakt dorthin und teilte mir mit, dass diese Akte öffentlich einsehbar sei, denn die Verjährungsfrist ist nach fünfzig Jahren gegeben. Nun lag sie also vor mir, diese Sammlung von Schriftstücken aus längst vergangener Zeit, eingehüllt in einen rötlichbraunen Umschlag, annähernd fünf Zentimeter dick. Was würden mir diese Aufzeichnungen erzählen? Gespannt begann ich die Umhüllung zu öffnen ... Plötzlich hatte ich sie alle vor mir, den Schaider Hans, den alten Fuchsbauer, den Gattinger Sepp und wie sie alle hießen. Auch meinen Großvater fand ich dort zwischen den genau protokollierten und mit ihren Unterschriften bestätigten Zeugenaussagen - es war eine Reise in die Verangenheit. Stundenlang las ich mich in den Akt hinein, absichtlich sparte ich mir das Urteil bis zum Schluss auf - und dann traf es mich wie ein Keulenschlag! Ferdinand Schneider wurde von allen acht Geschworenen in allen Anklagepunkten freigesprochen! Dreizehn Monate Untersuchungshaft, das war alles? Zweifel kamen in mir hoch. Irrten die Zeugen? Kaum vorstellbar, ich kannte sie doch noch alle als honorige Leute. Oder irrten die Geschworenen? Da sah ich nur ihre Namen ... Der Freispruch erfolgte nur mangels eines schlüssigen Schuldbeweises nach dem Grundsatz: „Im Zweifel für den Angeklagten“. IN DUBIO PRO REO - diese Worte verfolgten mich während der gesamten Heimfahrt. Und aus den tief hängenden Wolken begannen die ersten Regentropfen zu fallen ... |
|