Moosbierbaumer Dorfblatt'l. Unabhängige Moosbierbaumer Dorfzeitung
Jahrgang 4• Ausgabe 11• September 2002
 

DAS CHEMIEWERK MOOSBIERBAUM - PISCHELSDORF

Wenn wir uns mit der Geschichte befassen, denken wir meist an Städte, Kriege oder berühmte Menschen. Doch auch so scheinbar unromantische Dinge wie Fabriken haben eine Geschichte und jenes Chemiewerk am Unterlauf der Perschling hat eine besonders bewegte und für viele Menschen als Arbeits- und Lebensraum schicksalbestimmende.

Entstanden ist die Fabrik in den letzten Jahres des 1. Weltkrieges (1916 - 18) als Munitions- und Sprengstofferzeugungsbetrieb (Pulverfabrik Skodawerke - Wetzler AG). Bis zu 5000 Arbeitskräfte trieben den Bau im sumpfigen Gelände an der Perschling zwischen Dürnrohr, Rust, Zwentendorf und Moosbierbaum voran, und viele der dort eingesetzten rumänischen Kriegsgefangenen sahen ihre Heimat nicht wieder. An sie erinnert noch heute der Rumänenfriedhof in Zwentendorf.

Sehr erfolgreich war das Werk nicht, denn mit dem Zusammenbruch von 1918 wurde von den Siegern die Erzeugung von Schießpulver, in dieser dem Militär untergeordneten Fabrik verboten. So ging man daran, die Anlagen für friedliche Chemieprodukte umzurüsten. In den Zwanziger- und Dreißigerjahren erlebte es einen großen Aufschwung und eine beachtliche Palette chemischer Produkte wurde erzeugt: Kartoffelstärke, Superphosphat, Schwefelsäure, ein Waschmittel namens "Versale", erste Kunststoffe "Resan" und etliche weitere chemische Produkte.

Damit hatte auch an der Perschling der Übergang von der Agrar- zur Industriegesellschaft begonnen. So mancher Bauernsohn fand Arbeit im Werk und qualifizierte Arbeitskräfte zogen zu.

Mit dem Anschluss an Deutschland 1938 wurde das Werk zur Donau Chemie AG Es sollte stark erweitert als Chemiefabrik für den südosteuropäischen Raum dienen. In Pischelsdorf wurde an der Donau nahe der Perschlingmündung (Waggraben) die noch heute bestehende Hafenanlage gebaut und mit dem Südwerk durch Gleisanlagen verbunden. Die Flugzeuge der deutschen Wehrmacht brauchten Benzin für den Krieg, und bald war eine HF-Anlage in Betrieb, die Normalbenzin in hochoktanigen Sprit (bis zu 108 Oktan) umwandelte. Bis zu 6000 Menschen fanden Arbeit, darunter 2500 Fremd- und Zwangsarbeiter aus 25 Nationen, vor allem Franzosen, Russen, Griechen und Bulgaren.

Die Alliierten wussten natürlich davon und sie begannen die Fabriksanlagen als kriegswichtiges Ziel zu bombardieren. In zwölf Luftangriffen wurden viele Tonnen Bomben auf die Werke (Nord und Süd) abgeworfen und unermesslicher Schaden angerichtet. Auch die umliegenden Dörfer - besonders Dürnrohr und Rust - wurden schwer getroffen und fast vollständig zerstört.

So wurde nun die Fabrik auch durch das Elend des Krieges zum Schicksalsknotenpunkt der Menschen an der Perschling.

Nach 1945 nahm die "Raffinerie Moosbierbaum" unter einem russischen Direktor bald wieder die Erzeugung von Erdölprodukten auf und im Jahr des Staatsvertrages 1955 wurde aus der "Sowjetischen Mineralölverwaltung" die "Österreichische Mineralölverwaltung" - ÖMV

Das "Wirtschaftswunder" ermöglichte eine Motorisierung breiter Bevölkerungsschichten und wieder fanden viele Menschen Arbeit im Werk. Als 1960 die Raffinerie geschlossen und die Ölverarbeitung in Schwechat zentralisiert wurde, gingen viele Arbeiter und Angestellte mit oder wurden zu Pendlern. Gleichzeitig aber wurde in diesem Jahr das neue Werk der Donau Chemie AG bei den Hafenanlagen nahe Pischelsdorf gegründet. Hier werden bis zum heutigen Tag Schwefelsäure, Düngemittel und Synthesegipsprodukte erzeugt.

Als 1978 die Österreicherin einer Volksabstimmung beschlossen, auf die Energie des fast fertiggestellten Kernkraftwerkes Zwentendorf zu verzichten, wurde auf dem Gelände der ehemaligen Raffinerie (Südwerk) als Ersatz das riesige "Kohlekraftwerk Dürnrohr" errichtet, dessen mächtiger Schlot bis zu den Bergen im Quellgebiet der Perschling zu sehen ist, und dessen Hochspannungsschienen das Tullnerfeld querend zu einer bestimmenden , optischen Komponente der Landschaft wurden.

Mit diesem Industrieschwerpunkt an der Mündung erlangte das Perschlingtal überregionale Bedeutung, wohl nicht immer zu seinem Besten.

Rumänische Kriegsgefangene am Beginn, Grundenteignungen, Chemiker aus vielen Teilen Europas, politisch motivierte Morde, amerikanische Bomben, russische Verwüstung und Schändung, Staatsvertragskanzler Leopold Figl aus Rust, Landeshauptmann Reither aus Langenrohr, und schlussendlich demonstrierende Atomgegner aus ganz Österreich.

Heute ist Ruhe eingekehrt. Die Menschen gehen ihrer Arbeit nach: auf den Äckern des Tullnerfeldes, in der Industrieanlage der Donau Chemie AG, im Kraftwerk, und am Wochenende wandern sie in die Kronau, radeln die Donau entlang und am Abend kehren sie ein beim Heurigen in Moosbierbaum, Pischelsdorf, Trasdorf, Weinzierl oder in Zwentendorf....

Heimat hat viele Gesichter und eines davon kann auch eine Fabrik sein, mit allen Licht- und Schattenseiten, wie sie das Menschsein nun einmal ausmachen.


Waggraben bei Pischelsdorf

• Eine kurze Geschichte der Zeit

•Atzenbrugger Almanach


• Die schwarze Muttergottes von Tautendorf

Das literarische Podium

° Vor Langer Zeit

° Naturdenkmal Alte Perschling

° Die Obstbaumallee

° Regulierungen

° Die Schlösser

° Sakralbauten

° Wege

° Das Chemiewerk Moosbierbaum-Pischelsdorf

° An der Mündung